Spanien vor dem Generalstreik

Der Ausstand am Donnerstag ist für die Gewerkschaften eine Kraftprobe mit der Regierung/ Anlaß ist die Kürzung des Arbeitslosengeldes/ Ministerrat peitschte ein neues Streikgesetz durch  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Vier Tage sind es noch bis zum sechsstündigen Generalstreik am 28. Mai, und in Spanien werden eifrig die Messer gewetzt. Während sich Vertreter der beiden großen Gewerkschaften, der kommunistischen Comisiones Obreras und der sozialistischen UGT, daran machten, 250 Arbeitsämter im ganzen Land zu besetzen, um die Arbeitsuchenden über Kürzungen des Arbeitslosengeldes zu informieren, schleuste die Regierung in aller Eile ein neues Streikgesetz durch den Ministerrat. Es ist zwar am Tag des Generalstreiks noch nicht in Kraft, soll aber bereits jetzt einschüchternd wirken.

Während sich die Gewerkschaften mit Kollegen von der Polizei trafen, um bei den Ordnungshütern Verständnis zu erzeugen, wurden Gerüchte laut, das Innenministerium habe die Guardia Civil angewiesen, möglichst viel Information über die Streikenden zu sammeln. Der Polizei wurde bereits befohlen, gegen Streikposten mit aller Härte vorzugehen. Das Recht der Bürger auf Dienstleistungen und das der Arbeitnehmer, am Streiktag zur Arbeit zu gehen, werde die Regierung gewährleisten, tönt es drohend. Auf der anderen Seite verhehlen die Gewerkschaften nicht, daß sie alles tun werden, damit am Streiktag die öffentlichen Verkehrsmittel lahm liegen, gesetzliche Vorschriften zum Minimalbetrieb hin oder her.

Anlaß für den Streik ist eine neue Verordnung über das Arbeitslosengeld, die die Regierung vor einigen Wochen erlassen hatte, sowie der Entwurf für das neue Streikgesetz, der nun in kaum veränderter Form den Ministerrat passiert hat. Das Arbeitslosengeld soll in Zukunft erst bezahlt werden, wenn vorher mindestens ein Jahr lang gearbeitet wurde. Bislang betrug die Mindestarbeitszeit sechs Monate. Darüber hinaus sollen die Bezüge nur noch für ein Drittel der zuvor gearbeiteten Zeit bezahlt werden. Wirtschaftsminister Carlos Solchaga begründete diese Sparmaßnahmen mit der Notwendigkeit, in Hinblick auf den europäischen Binnenmarkt die Haushaltsverschuldung zu reduzieren. Darüber hinaus sei die Zahl von 15 Prozent Arbeitslosen aufgebläht, denn viele würden während des Bezugs von Arbeitslosengeld schwarz arbeiten.

Daß es einen schwer zu bestimmenden Satz von Schwindlern gibt, bestreiten auch die Gewerkschaften nicht. Freilich wirkt diese Begründung eher wie eine ungezielte Strafmaßnahme gegen alle Arbeitslosen, denn als Methode für eine größere Kontrolle. Die Kürzung der Bezüge trifft vor allem diejenigen, die nach sechsmonatigen Arbeitsverträgen erneut nach Hause entlassen werden, um dort auf einen neuen Zeitvertrag zu hoffen. Diese Kurzzeitarbeiter, die in Spanien circa 30 Prozent ausmachen, gehen nach dem neuen Gesetz leer aus.

Daß es um mehr geht als um die Bekämpfung einer einzelnen Maßnahme der Regierung, zeigt jedoch der zweite Streikgrund: das neue Streikgesetz. Es verbietet politische Streiks und setzt für eine Reihe von Bereichen, darunter Gesundheitswesen, Verteidigung, Verkehrsmittel, Energie- und Lebensmittelversorgung, einen Minimalbetrieb fest, über dessen Ausmaß letztlich das Arbeitsministerium entscheidet. Für den kommenden Generalstreik fordert etwa das Verkehrsministerium einen „Minimalbetrieb“ des öffentlichen Nahverkehrs von mehr als fünfzig Prozent des üblichen Betriebs.

Der Zeitpunkt für die Einführung des Gesetzes ist insofern geschickt gewählt, als sowohl in diesem wie bereits im vergangenen Jahr wilde Streiks der Madrider Busangestellten wochenlang die Außenbezirke abgetrennt und mit der Zeit heftigen Unwillen seitens der Bevölkerung erzeugt hatten. Die Gewerkschaften befürchten, daß das Gesetz, ähnlich wie unter Margaret Thatcher, ein weiterer Meilenstein auf dem bitteren Weg zur völligen Entmachtung der Gewerkschaften ist. Ebenso wie Thatcher zeigt sich auch Premierminister Felipe Gonzalez von seinem politischen und ökonomischen Programm restlos überzeugt. Er werde den Plan der wirtschaftlichen Konvergenz Spaniens mit der EG durchziehen, auch wenn ihn das den Posten koste, erklärte er vor kurzem. Die Gewerkschaften, stärkste Opposition im Lande, fürchten, das Bauernopfer für die Durchsetzung dieser Ziele zu werden.

Mißtrauen und Resignation

Die Situation, die jetzt zum Generalstreik geführt hat, ist wesentlich anders als die, die sich im Dezember 1988 präsentierte, als die Arbeiter ganz Spanien lahmlegten. Nach Jahren boomhaften Wirtschaftswachstums forderten die Gewerkschaften damals einen größeren Teil am Kuchen, aber auch, nach Jahren des Stillhaltens, eine Rückkehr zu einer „sozialistischeren“ Politik der sich so nennenden Regierungspartei. Zwar erreichten die gewerkschaftlichen Drohgebärden damals Zugeständnisse tariflicher Art, doch die geforderte „soziale Wende“ trat nicht ein.

Seither ist das Wirtschaftswachstum zurückgegangen, in mehreren wichtigen Regionen hat eine massive De-Industrialisierung eingesetzt. Die Hoffnungen, die damals noch auf die Regierung gesetzt wurden, sind heute Mißtrauen und Resignation gewichen. Das zeigt sich auch an der Abwesenheit von Grabenspringern: Während sich vor vier Jahren sowohl die sozialistische Gewerkschaft UGT als auch die sozialistische Partei in Gegner und Befürworter des Streiks spaltete — eine Auseinandersetzung, die auf beiden Seiten mit Ausschlüssen beantwortet wurde — sind diesmal keine Risse sichtbar. UGT und PSOE gehen gegensätzliche Wege. Die Regierung ist nervös, das zeigen ihre Aufrüstungsversuche. Doch bei den nächsten Wahlen werden die meisten ihrer jetzigen Gegner sie wieder wählen — mangels Alternative.