PRESS-SCHLAG
: Nicht immer wohlanständig

■ Über eine sehenswerte Ausstellung von „Sportswear“ aus drei Jahrhunderten im Krefelder Textilmuseum

Eine Badekappe aus den 30er Jahren, die aussieht wie eine Wärmeflasche. Skurrile Turnhosen, nicht nur fritzwalterlang, sondern auch von exorbitantem Umfang. Spikes mit Dornen, so lang wie heute Tangas an der Seite nicht mehr hoch sind. Littis Original-Nationaltrikot mit der Größe „M“. Roger Millas Kamerun-Leibchen, das ohne jeden Schnitt auskommt und eine mühsam mit Kleber angepappte, ausgefranste „9“ hinten ziert. Oder Steffi Grafs Outfit vom ersten Wimbledon-Sieg und das ungewaschene Hemd von Björn Borg. Oder der deutsche „Einmarschblazer“ von Olympia 1924 und der „Einmarschanzug“ von München 1972.

Vielfältige Sportkleidung. „Sportswear“ sagt man auf internationalistisch, und das ist auch der Titel einer Ausstellung, wie es sie bislang in Deutschland noch nicht gab. Zu sehen ist sie im Textilmuseum Krefeld-Linn noch bis zum 30. August. Kleidungsstücke aus drei Jahrhunderten Leibesübung (ab 1740) sind dort zusammengetragen, und die BesucherInnen finden die Präsentation, jeweils abhängig vom eigenen Alter, amüsant und nostalgisch: „Das kenn' ich noch“, „Ja, weißt du noch, das haben wir selbst damals auch getragen.“ Und der Reporter sieht den häßlichen Synthetik-Adidas-Trainingsanzug: Meine Güte, mit so was sind wir in den 60er Jahren beim Schulsport herumgerannt. Und da war so eine Uniform das Nonplusultra.

Sportswear“ zeigt gut 600 Exponate aus rund 20 Disziplinen. Viele Sportarten fehlen — zwangsweise, denn, so die Organisatoren, „sich mit der Geschichte des Sports zu beschäftigen bedeutet, sich die Menschheitsgeschichte aufzuladen“. Aber auch das Potpourri läßt sie ganze Bandbreite der Verhüllungstechnik und Verbesserungstechnologie erahnen — bei manch ältlichen Skianzügen, bei Laufschuhen aus dem Horrorkabinett des Orthopäden, formidablen Knickerbockerhosen fürs Radeln, Cricketmonturen wie für Mondfahrer oder den abenteuerlichsten Modellen an Fußballschuhen fragt man sich heute indes, wie Sport in solcher Kleidung überhaupt möglich war und manche darin gar Olympiasiege feiern konnten.

Die Lücken im Museum (Max Schmeling sollte das Boxen repräsentieren, aber seine WM-Ausrüstung sei, teilte er traurig mit, im Krieg verschüttgegangen) werden durch einen ausgezeichneten Katalog (206 Seiten, 30 DM) kompensiert, der sich wie eine Art Handbuch zur Geschichte der Sportkleidung liest. Hier werden, meist ansprechend geschrieben, Kleidungsgeschichte und -geschichten vieler Disziplinen beschrieben. Da geht es um die Schutzkleidung („Von der Pudelmütze zum Gesichtsgitter“), da werden sehr anschaulich Verbindungen aufgezeigt zwischen der Uniformität der Sportler und der Soldatenwelt („... mindestens eine halbe Million Turner, die ganz regel- und planmäßig in stahlblauer Gleichtracht Wehrturnen betreiben...“).

Auch das in der Ausstellung fast völlig vernachlässigte Thema Sport im Dritten Reich findet in „Dein Ja zum Leibe“ über „Nationalsozialistische Körpersymbolik im Sport“ seinen Platz wie auch eine engagierte Abhandlung über „Sex und Sportswear“ aus der Feder der Hauptorganisatorin Brigitte Tietzel.

Sportkleidung — immer ein Stück Zeitgeschichte. In der Antike wetteiferten die Leiber nackt (wohl aber geschlechtergetrennt). Im Laufe dieses Jahrhunderts wurde es problematisch: Man wußte bald, wie es höher, schneller, weiter geht, aber erste schnittigere Schnitte und neue Materialien kollidierten anfangs noch arg mit der Moral: „In bezug auf Wohlanständigkeit“, so die hübsche Katalog- Formulierung, war das „nicht immer ganz unproblematisch.“ Heute gibt es Designerpreise für Textil und Mode wie zuletzt, 1991, für den „Smogging-Anzug“ — das ist nicht etwa besonders lungenfreundliche Laufkleidung für Raucher, sondern ein „Jogging-Anzug, der in einen legeren Smoking verwandelbar ist“.

Fazit: Eine sehenswerte Schau, mit nur wenigen Kritikpunkten: Ein paar mehr Erklärungen zu den Ausstellungsstücken hätten es schon sein dürfen und überhaupt welche zu den ergänzenden Fotografien an den Museumswänden. Das Video von Suzanne Lenglen, der „göttlichen“ Tenniskönigin von Wimbledon aus den 20ern, ist auf englisch arg verhunzt und überhaupt nicht erklärt. Kleinigkeiten — nur eins durfte nicht passieren: Einen Eishockeyfeldspieler in die Vitrine zu stellen und ihm eine Torwartkelle in die Hand zu drücken — das ist ein arger Fauxpas in der Puckmetropole Krefeld. Bernd Müllender