: Unbekannter Diplomat
■ HBP Thomas Klestil will Österreichs Ruf aufmöbeln
Berlin (taz) — Eine eigene Nazi- Vergangenheit hat der Nachfolger von Kurt Waldheim nicht. Das wäre schon biologisch nicht möglich, denn Thomas Klestil kam erst im Jahr 1932 zur Welt. Und doch ist der Anfang auch dieses neuen österreichischen Bundespräsidenten braun überschattet, denn erst die Stimmen aus dem Lager der rechtsextremen Freiheitlichen Partei (FPÖ) verhalfen ihm bei der Stichwahl am Sonntag zu seiner stabilen Mehrheit von 57 Prozent. In der Endphase des Wahlkampfes hatte FPÖ-Chef Haider eine deutliche, wenn auch indirekte, Empfehlung für den Konservativen Klestil und gegen den Sozialdemokraten Streicher gegeben.
Weder Klestil noch seine Partei, die ÖVP, hatte es nötig gefunden, öffentlich von Haider, der seine Nazi-Sympathien immer wieder unter Beweis gestellt hat, abzurücken. Sie nahmen nicht einmal Stellung zu der FPÖ-Wahlempfehlung. Statt dessen wertete der neue „HBP“, wie der „Herr Bundespräsident“ im Politjargon des Nachbarlandes bezeichnet wird, die massive Unterstützung gestern als Zeichen dafür, daß das Parteien- und Lagerdenken in Österreich „endgültig überwunden“ sei. In der Politik komme es „zunehmend auf Persönlichkeiten an“, ergänzte er selbstbewußt. Dabei war Klestil den meisten ÖsterreicherInnen bis vor kurzem noch völlig unbekannt. Als seine Kandidatur Ende letzten Jahres bekanntwurde, gaben seine GegnerInnen ihm kaum eine Chance, das höchste Amt im Staate zu erringen.
Ganz offensichtlich hatten sie den zielstrebigen Doktor des „Welthandels“ unterschätzt. Klestils Karriere entwickelte sich zwar zunächst hinter den Kulissen verschiedener österreichischer Regierungen — er selbst legt Wert auf die Feststellung, daß er sowohl konservativen als auch sozialdemokratischen Chefs diente. Doch schon bald ging er selbst an die Spitze. Er avancierte zum Generalkonsul in Los Angeles, zum UN-Botschafter in New York und zum Botschafter in Washington. Zuletzt fungierte er als Staatssekretär im Außenministerium und war damit zweiter Mann hinter dem konservativen Außenminister Alois Mock.
Seine Erfahrungen im Ausland will der neue HBP jetzt dazu nutzen, das angeschlagene Image seines Landes aufzupolieren. Gleich nach seinem Einzug in die Wiener Hofburg am 8. Juli will er die europäischen Nachbarländer bereisen, wo sein Vorgänger Persona non grata war. Besonders die US-Regierung, die Waldheim die Einreise verweigert hat, dürfte sich über den neuen Mann in Wien, der 21 Jahre seines Lebens in Amerika verbracht hat, freuen.
Eine doppelte Niederlage müssen hingegen die österreichischen SozialdemokratInnen verschmerzen. Nicht nur, weil ihr Kandidat Streicher die Stichwahl mit schlappen 43 Prozent haushoch verloren hat. Sondern auch, weil Streicher, der für die Kandidatur auf sein Amt als Verkehrsminister verzichtete, bereits klargemacht hat, daß er keinesfalls in die Regierung zurückkehren werde. Der profilierte und prominente Sozialdemokrat zieht es vor, wieder als Manager zu arbeiten. Angebote sollen ihm auch aus Deutschland vorliegen. Dorothea Hahn
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