piwik no script img

Erklärungsnotstand bei Millionendeal

Vor dem Düsseldorfer Untersuchungsausschuß gibt es merkwürdige Erinnerungslücken von Spitzenbeamten zugunsten des Finanzministers/ Ein stilles Geschäft am Landtag vorbei  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

„Ich habe dem Minister deutlich gemacht, daß die Risiken nicht mehr bestehen.“ Dieser Satz kommt Ministerialdirigent Volker Oerter während der Anhörung vor dem Untersuchungsausschuß des Düsseldorfer Landtags immer wieder über die Lippen. Gewicht hat diese Formulierung des Zeugen für den Finanzminister Heinz Schleußer: Für sein Ministerium spielte Oerter die Rolle der Verhandlungsführers im einem Geschäft, das aufzuklären sich der Untersuchungsausschuß nun seit einigen Wochen bemüht.

1991 kaufte das Land NRW ein riesiges Thyssen-Grundstück in Oberhausen für 20 Millionen Mark, um es noch am selben Tag an die Oberhausener Grundstücksentwicklungsgesellschaft (GEG), die das Gelände baureif machen soll, weiterzureichen. Letztendlich wird das Grundstück bei dem britischen Investor Edwin Healey landen, der sich verpflichtet hat, für das 100 Hektar große Gelände nach dessen Aufbereitung 60 Millionen Mark zu zahlen. Healey will in Oberhausen einen riesigen Einkaufstempel für zwei Milliarden DM bauen.

Die Düsseldorfer Oppositionsparteien treibt nun die Frage um, warum der Landtag von diesem gigantischen Geschäft erst erfahren hat, als die Verträge schon unterzeichnet waren. So viel ist nicht nur für die Opposition klar: Unter normalen Umständen hätten der Kauf und Weiterverkauf des riesigen Thyssen-Geländes der Zustimmung des Parlaments bedurft. Entsprechende Vorschriften finden sich in der Landeshaushaltsordnung (LHO) und in der Landesverfassung. Ausnahmen von der Regel sieht das Gesetz zwar vor, sie sind aber so eng gefaßt, daß das, was der Minister noch vor der Einsetzung des Untersuchungsausschusses zu seiner Verteidigung vorgebracht hatte, kaum einen unabhängigen Beobachter zu überzeugen vermochte. Weil der Investor auf einen raschen Abschluß der Verträge gedrängt habe, sei die Einschaltung des Landtags aus zeitlichen Gründen erst nach Vertragsabschluß möglich gewesen, lautete die Verteidigungslinie. „Ich würde jederzeit wieder so handeln“, fügte der Minister hinzu, der auch im Aufsichtsrat von Thyssen sitzt. Rein formal habe es auch gar keine Verpflichtung zur Beteiligung der Abgeordneten gegeben.

Seitdem sich die Aktenschränke langsam öffnen, gibt es täglich mehr Anlaß, an dieser Darstellung zu zweifeln. Zahlreiche Vermerke aus dem Finanzministerium selbst zeigen, daß dort die Pflicht zur Einbeziehung des Landtages schon früh schriftlich dem Minister gegenüber angezeigt worden war. So formulierte der am vergangenen Freitag vor dem U-Ausschuß gehörte Ministerialdirigent Oerter in einem Vermerk vom 31.10. 91, daß der Landtag wegen der zahlreichen Gewährleistungsansprüche, die auf den Steuerzahler im Falle einer Projektpleite zukommen könnten, gefragt werden müsse. Das Land, so heißt es in dem Vermerk wörtlich, „könnte somit diesen Vertrag nur dann abschließen, wenn hierfür eine Ermächtigung im Haushaltsgesetz vorhanden wäre“. Die ministerielle Arbeitsgruppe „sah nur dann eine Möglichkeit, ohne eine solche Ermächtigung auszukommen, wenn ein Dritter für die GEG diese Gewährleistungen i.S. einer harten Patronatserklärung übernehmen würde. Nach Lage der Dinge käme hierfür nur die West LB in Frage...“, fährt Autor Oerter fort. West LB steht für Westdeutsche Landesbank, und die ist mit einem Drittel an der GEG beteiligt. Schleußer sitzt dem obersten Kontrollorgan der Staatsbank, dem Verwaltungsrat, als Vorsitzender vor. Aber seine Bemühungen, den Boß der West LB, Friedel Neuber, zur Übernahme der Risiken zu gewinnen, scheiterten. Der Deal ging dennoch ohne Landtag über die Bühne. Vor dem Untersuchungsausschuß hatte Schleußer erklärt, er sei davon ausgegangen, daß das Risiko der Gewährleistung im Sinne der Landeshaushaltsordung (§39 LHO und Art.83 Landesverfassung) „durch Nachverhandeln behoben worden sei“. In welcher Weise das geschah, vermochte Schleußer jedoch nicht zu sagen. Diesen Erklärungsnotstand sollte letzten Freitag Abteilungsleiter Oerter beheben. Daß 'dpa‘ gleich nach dessen Vernehmung meldete, der Verhandlungsführer habe den Minister „entlastet“, ist keine Falschmeldung, aber gewiß auch nicht die reine Wahrheit. Tatsächlich fokussiert sich die Entlastung in dem schon eingangs zitierten Satz: „Ich habe dem Minister deutlich gemacht, daß die Risiken nach der Landeshaushaltsordnung nicht mehr bestehen.“ Mit welchen Worten er das gemacht hat, daran konnte Oerter sich indes nicht erinnern. Und auch die einfache Frage des Richters und FDP-Abgeordneten Heinz Lanfermann, welche Kosten und Risiken nach der Vertragsneuformulierung für das Land denn nun wegfallen würden, vermochte Oerter nicht zu beantworten.

Die Akten verraten ein bißchen mehr. Am 4.12. 1991, einen Tag vor Vertragsabschluß, bittet Oerter den Minister um das endgültige Okay. Zur Risikolage heißt es in diesem Vermerk: „Die vertragliche Gesamtkonzeption ist so ausgestaltet, daß das Land im Ergebnis weitgehend alle daraus resultierenden finanziellen Risiken zu tragen hat. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß sowohl der GEG als auch dem Investor Rücktrittsrechte zustehen...“ Ein Großteil der Risiken sei aber durch „belastbare Zusagen“ des Düsseldorfer Wirtschaftsministeriums tragbar. Das „verbleibende Restrisiko“, angeführt wird die Bonität des Investors ebenso wie das Bodensanierungsrisiko, müsse „im Interesse der Strukturverbesserung des Emscher-Lippe-Raumes vom Land übernommen werden“. Für die Opposition steht fest, daß es sich bei diesen zahlreichen ungedeckten Schecks auf die Zukunft um Gewährleistungsansprüche im Sinne der Landesverfassung handelt. Sie wirft dem Finanzminister deshalb „Verfassungsbruch“ vor. Darüber werden letztendlich die Richter des Landesverfassungsgerichtshofes in Münster entscheiden, denn die gesamte Opposition will nächste Woche eine Organklage einreichen.

Ob das Projekt dem Landesminister am Ende Fluch oder Segen bescheren wird, hängt nicht zuletzt von diesem Richterspruch ab. Ein Gewinner des Geschäfts steht indes schon heute fest. Peter Heinemann, Ex-Landtagsabgeordneter der SPD aus Essen, hat als Notar alle Verträge beurkundet und dafür entsprechend der Gebührenordnung rund 300.000 Mark kassiert. Heinemann, ein Onkel von Christina Rau, der Frau des Ministerpräsidenten, kennt Verhandlungsführer Volker Oerter gut. Schreiben an das Finanzministerium in seiner Eigenschaft als Notar beginnt Heinemann noch im Januar dieses Jahres mit der vertraulichen Anrede „Lieber Volker“. Erst am 25.März ändert sich die Tonlage. Nun wendet sich Heinemann in strenger Diktion an den Freund: „Sehr geehrter Herr Dr. Oerter“. Ein Blick auf die Tagesordnung des Landtags zeigt den Grund der plötzlichen Förmlichkeit: An diesem Tag wurde die Einsetzung des Untersuchungsausschusses beschlossen. Inzwischen hat Heinemann erklärt, daß seine Einschaltung als Notar „ausschließlich“ auf „Wunsch und Vorschlag“ des britischen Investors erfolgt sei. Schön, wenn man als Notar einen solch guten Ruf hat, daß davon sogar ein Investor im fernen Sheffield erfährt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen