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WANDERFALKEN RUINIEREN TAUBENZÜCHTERGILDE

Wenn die Taube schreit

London (taz) — Gewisse Raubvogelarten sind im europäischen Luftraum ausgesprochen selten geworden. So war die Begeisterung der Tierfreunde im englischen Bristol groß, als sich ausgerechnet in ihrer Gegend ein vollständiges und vitales Wanderfalkenpärchen niederließ. Doch der Jubel gestaltete sich keineswegs ungeteilt. Das heißhungrige Federvieh bevorzugt nämlich Edelfutter: die preisgekrönten Prachtexemplare der örtlichen Taubenzüchtergilde. Bei einer Inspektion des Falkennestes wurden über 100 Taubenringe gefunden, klägliche Überreste einst stolzer und bis zu 2.000 Mark teurer Luxustäubchen. Besonders auf die Rekordhalter im Langstreckenfliegen haben es die Falken abgesehen — offensichtlich betrachten sie die Jagd auf ihre guinnessbuchverdächtigen Klassengenossen als sportliche Herausforderung.

Kein Wunder, daß der Zorn der wackeren Taubenzüchter unter diesen Umständen ins Unermeßliche wuchs und die Liebhaber der deliziösen Friedenssymbole sogar kämpferische Züge entwickelten. In der Nähe des Nestes der Übeltäter veranstalteten sie eine Protestdemonstration, und als sich die Falken auch dadurch nicht bewegen ließen, von ihrem verwerflichen Treiben abzulassen, wurde in Züchterkreisen über Gegenmaßnahmen gebrütet. Die erste Idee, mit Sprengstoffpatronen bewaffnete Kamikazetauben der preisgünstigeren zweiten Garnitur loszuschicken, um dem räuberischen Vogelspuk ein für allemal ein Ende zu setzen, scheiterte am empörten Widerstand der Tierschützer. Nun wird versucht, durch Ausstreuen von Futter jede Menge ordinäre Haustauben nach Bristol zu locken, um den Wanderfalken eine schmackhafte Alternative zu bieten. Die Hoffnungen, daß die verwöhnten Biester ihren exklusiven Speiseplan ändern werden, sind allerdings eher gering.

Als Folge der Falkenimmigration hat das Hobby des Taubenzüchters in Bristol jedenfalls mächtig an Beliebtheit eingebüßt. Gab es vor einigen Jahren noch rund 65 Freunde der gefiederten Postboten, sind es jetzt nur noch 25, die tapfer der Dezimierung ihrer wertvollen Bestände trotzen und ihre Hoffnung vor allem auf eine alte Weisheit setzen: Das Wandern ist des Falken Lust. Matti Lieske

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