: Die Stadt der vier Kulturen ist zerstört
In Sarajevo gibt es auch Beispiele von großer Solidarität zwischen Serben, Kroaten und Muslimanen ■ Von Roland Hofwiler
Sie leben in Kellern und halbzerbombten Häusern, nahe des Zentrums von Sarajevo. Doch sie wollen sich durch den Krieg nicht vertreiben lassen. Weil es gefährlich ist, auf die Straße zu gehen, haben die Bewohner einiger Stadtviertel mit Seilen und Flaschenzügen Versorgungslinien geschaffen. Und in den Kellern von Sarajevo gibt es noch etwas, was angesichts der Kämpfe und des umgebenden Hasses verschwunden schien: menschliche Solidarität über die ethnischen Grenzen hinweg. Der Geist von Sarajevo, wo über mehrere Jahrhunderte vier Kulturen zusammenlebten, ist noch nicht zerstört. Die Wahrzeichen der Stadt liegen dagegen in Schutt und Asche. Die Ali- Pascha-Moschee aus dem Jahre 1561 verlor ihr Minarett und den Dachstuhl der Gebetskuppel. Die Havadza-Durak-Moschee, erbaut 1528, brannte ebenso aus wie das Mausoleum des mittelalterlichen türkischen Statthalters Gazi Husrevbeg. Die nach ihm benannte islamische Stadtbibliothek, in der fünftausend, teilweise einzigartige Schriftstücke lagern, ist ausgebrannt.
Doch nicht nur islamische Sehenswürdigkeiten wurden zerstört, auch die Zeugnisse jüdischer Kultur. So die sephardische Synagoge im alten Marktviertel, bedeutendstes Wahrzeichen jener Juden, die vor 500 Jahren vor der Verfolgung der spanischen Inquisition auf dem damaligen Gebiet des osmanischen Imperiums Zuflucht fanden. Auch die Synagoge der aschkenasischen Juden ist durch Granattreffer schwer beschädigt und stellenweise ausgebrannt.
Die architektonischen Zeugnisse aus der Zeit der österreich-ungarischen Monarchie blieben ebenfalls nicht verschont. So ist die Akademie der Bildenden Küste, das alte Rathaus, ein Prachtbau der Neorenaissance, und die prächtige Hauptpost zerstört. Außerdem sind alle historischen Gebäude entlang des Miljacka- Flusses, der sich quer durch Sarajevo zieht, und die zentrale Fußgängerzone der Vasa Miskina ein einziges Trümmerfeld.
In den letzten Tagen lagen auch Außenbezirke und zahlreiche Sportanlagen unter Feuer. Auf das ehemalige olympische Dorf Dobrinja, heute eine Wohnsiedlung mit 40.000 Menschen, hageln täglich Granaten nieder. Nur zwei zentrale Gebäude blieben bisher relativ heil: die serbisch-orthodoxe Kathedrale und das römisch-katholische Münster. Symbolträchtig stehen beide Kirchen nur wenige Schritte voneinander entfernt.
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