: Die USA stehen in Rio am Pranger
Bei der Eröffnung des Weltgipfels in Rio steht die Kritik am westlichen Wohlstandsmodell im Vordergrund/ Auch wenn die USA es nicht hören wollen, das Wachstumsmodell ist nicht durchhaltbar ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Rio de Janeiro (taz) — UN-Generalsekretär Boutros Ghali bringt es gleich zur Eröffnung des größten UN-Gipfels der Geschichte auf den Punkt: „Die Erde leidet gleichzeitig an Unterentwicklung und Überentwicklung. Der Lebensstil der reichen Länder ist ökologisch nicht tragbar und kann nach dem jetzigen Stand nicht als nachhaltig gelten.“ Auf dem Gipfel in Rio wollen bis zum 14. Juni Vertreter von 175 Nationen über Unterentwicklung und den globalen Umweltschutz beraten und Konventionen zum Klima und zum Artenschutz unterzeichnen. Rund 100 Staats- und Regierungschefs werden erwartet.
Boutros Ghali gab den Ton für den ersten Tag des UN-Gipfels für Umwelt und Entwicklung (UNCED) in Rio vor. Der Norden trägt die Schuld für die Ausbeutung des Planeten und für den rapiden Raubbau an seinen Ressourcen. Der Süden wird aus lauter Armut zum Umweltsünder im eigenen Land. In einer endlichen Welt werde jeder neue „Triumph über die Natur zu einem Triumph über uns selbst“, so Boutros Ghali.
Nur die Amerikaner wollen auf dem Umweltgipfel in diese Melodie nicht einstimmen. Getreu dem Motto seines Präsidenten, der amerikanische Lebensstil stehe in Rio nicht zur Verhandlung, verteidigte der Chef der US-Umweltbehörde, William Reiley, den Kurs seines Landes: In den USA seien die Flüsse sauberer und die Luft besser als in den vergangenen Jahrzehnten. Reiley erteilte allen Wachstumsskeptikern eine Absage: „Wirtschaftswachstum kann und muß Motor und Voraussetzung für den Umweltschutz sein.“
Ohne auf die amerikanische Ablehnung der Artenschutz-Konvention überhaupt einzugehen, behauptete Reiley, daß die USA die UN- Konferenz mit Enthusiasmus annähmen und auf eine schnelle Umsetzung der Klima-Konvention setzten. Erste Priorität habe für sein Land der Schutz der Wälder. Vor der Presse hatte Reiley zuvor alle Vorwürfe wegen der amerikanischen Blockadepolitik zurückgewiesen. „Wenn sich die Artenschutz-Konvention auf den Artenschutz beschränkt hätte“, hätten die USA sie unterzeichnen können, so Reiley. Aber die ökonomischen Hindernisse für die amerikanische Gentechnik-Industrie und der Finanzierungs-Mechanismus für die Konvention machten dies unmöglich. Insgesamt wollen die USA nach Reileys Worten auf der Konferenz 250 Millionen Dollar zur Verfügung stellen, davon 150 Millionen für ein internationales Waldschutzprogramm. „Das ist eine ordentliche Summe in der derzeitigen Haushaltssituation“, verteidigte sich der Amerikaner.
John Major drängt George Bush
Die USA stehen unter erheblichem Druck. Der britische Premierminister John Major will dem Vernehmen nach auf dem Weg zur Konferenz nach Rio in Washington Station machen und dort auf eine Unterzeichnung der Artenschutz-Konvention drängen. Zuvor wird noch am Freitag die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundland mit Bush sprechen. Norwegen hat genau wie die Bundesrepublik und Italien in Rio angekündigt, die Artenschutz- Konvention unterschreiben zu wollen. Brundland forderte in Rio, die Industriestaaten müßten die Last, die sie der Erde aufbürdeten, „scharf reduzieren“. Schon 1993 müßten außerdem mindestens 10 Milliarden Dollar für den internationalen Umweltschutz zusätzlich fließen. Die in der OECD zusammengeschlossenen westlichen Industrieländer sollten „noch in den neunziger Jahren“ 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts als Hilfe für den Süden bereitstellen. Derzeit, so hatte die norwegische Politikerin vorgerechnet, seien die Zinszahlungen der dritten Welt an den Norden viermal so hoch wie die Entwicklunghilfe der ersten Welt. Der pakistanische Umweltminister Anwar Saifullah Kahn erinnerte daran, daß die Weltbank schon 1972 das 0,7-Prozent-Ziel vorgegeben hatte.
Bundesumweltminister Klaus Töpfer appellierte an alle Staaten, es der Bundesrepublik gleichzutun und die Klima- und Artenschutz-Konvention in Rio zu unterzeichnen. Schon vor dem Inkrafttreten der Konventionen sollte mit ihrer Umsetzung begonnen werden. Sie sollten kontinuierlich überprüft „und, wo notwendig, verschärft werden“.
Appell an die dritte Welt
Auch UNCED-Generalsekretär Maurice Strong forderte vom Norden, Verantwortung zu tragen und „fundamentale Veränderungen im Wirtschaftsleben“ vorzunehmen. Der politische Wille, den Gipfel zum Erfolg zu führen, werde sich vor allem an den neuen zur Verfügung gestellten Finanzmitteln zeigen. Gleichzeitig sagte Strong aber auch, daß das Bevölkerungswachstum vor allem in der dritten Welt nicht weitergehen dürfe. „Die Weltbevölkerung muß stabilisiert werden, und zwar schnell. Wenn wir es nicht machen, wird es die Natur tun, viel brutaler.“ Auch der Norden trage seinen Teil zum Bevölkerungsproblem bei: „Jedes Kind der entwickelten Welt braucht 20- bis 30mal mehr Ressourcen als ein Kind der dritten Welt.“
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