piwik no script img

»Keine Interviews, keine Fotos«

■ Nicht nur in Frankfurt gibt es »Böhse Onkelz«. Die gesamtdeutsche Nachfrage nach Musik mit rechtsextremen Texten ist seit der »Wende« steil gestiegen. Auch in der Hauptstadt Berlin.

In der Ecke eines Hohenschönhausener Jugendklubs schaut der 16jährige Marc unbekümmert in die Röhre einer Warnschußpistole. Auf einem Ärmel seiner Jeansjacke ein roter Aufkleber: »Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein«. Die ersten Barthaare sind frisch rasiert. Was von seinen kurzgeschorenen Haaren noch übrig ist, wird von den Hörern eines Walkman in Form gehalten. Marc hört »Störkraft«:

Überall, wohin du auch siehst,

Siehst du, wie dein Land überall fließt.

Fremde Völker nisten sich ein

Und behaupten auch noch, deutsch zu sein.

In ein paar Jahren

haben wir keine Rechte mehr,

Unsere Gefühle existieren nicht mehr.

Doch wir sind geboren in Deutschland,

Wir kämpfen für das deutsche Vaterland.

Ja, eines Tages,

Da wacht ihr alle auf,

Rettet die Rasse, die man einst verkauft.

Ich weiß, in jedem Deutschen, da steckt ein Mann,

Der das Verderben noch verhindern kann.«

Störkraft ist eine von mehreren rechten Skinhead-Rockgruppen aus Westdeutschland, die seit der Wende eine Art von Renaissance genießen. Ihre Musik: einfache Gitarren-Akkorde in der Punk-, Ska- und Heavy- Metal-Tradition. Die Texte: aggressiv, rassistisch, nationalistisch.

Vor 1989 hatten Gruppen wie Störkraft, »Endstufe«, »Kahlkopf« und die Berliner »Kraft durch Froide« kleine Nischen in der westdeutschen rechten Skinszene besetzt. Wann immer sie die Aufmerksamkeiten der Polizei (und die der Antifaschisten) von sich abschütteln konnten, organisierten sie kurzfristig kleine Konzerte in Kleinstädten für ihr kleines, aber gleichgesinntes Publikum.

Seit der Öffnung der innerdeutschen Grenze haben die genannten Gruppen den Osten als Betätigungsfeld entdeckt, zusammen mit einigen neuen Erscheinungen wie »Märtyrer«, »Noie Werte«, »Tonstörung«, »Wotan«, »Radikaler Haß«, »Volkszorn« und den Schweizer »Sturmtruppen«. Immer mehr dieser Bands reisen in den Osten, um dort ihre Konzerte zu geben. Bei einer Cottbuser Veranstaltung mit den Gruppen »Radikahl«, Störkraft und den neofaschistischen »Screwdriver« aus England sollen 1.000 Zuschauer dabei gewesen sein, wie das fotokopierte Skinhead-Fanzine 'The Angelic Times‘ berichtet. Die meisten Konzerte enden in Suff und Schlägerei, das Konzert in Cottbus noch mieser: Einige Mitglieder von Screwdriver wurden verhaftet, weil sie einen Vietnamesen mit Messern angegriffen haben sollen.

»Dinge, die gesagt werden müssen«

Wie verbreitet die rechtsextreme Musik in der Ex-DDR wirklich ist, ist schwer zu sagen. »Jetzt hören nicht mehr so viele Leute wie vor zwei Jahren«, sagt der 15jährige Michael aus Oberschöneweide. »Es hat sich alles geändert, die rechte Szene ist ziemlich klein geworden. Es sind jetzt viel mehr Hooligans dabei, und die hören Tekno oder so etwas.«

Trotzdem scheint die rechte Musik immer noch populär zu sein. Von den zehn Kumpels von Michael hören noch fünf national-rassistische Stücke, »vor drei Jahren waren es acht oder neun.« Michael selber mag die Musik auch noch. Außerdem sind das »Dinge, die einfach gesagt werden müssen. Das ist ja ein schwieriges Problem, mit den Ausländern in Deutschland.«

Fest steht, daß die gesamtdeutsche Nachfrage an rechtsextremer Musik nach der Wende steil gestiegen ist. Weder kannten die Ostdeutschen solches Liedgut zuvor, noch konnten sie es kaufen. In den Monaten nach dem November 1989 vermerkte ein Westberliner Plattenverkäufer einen »60- bis 80prozentigen Anstieg« in der Nachfrage nach Platten von rechten Bands.

Unkonventionelle Verkaufsmethoden

Für den Vertrieb verantwortlich ist hauptsächlich »Rock-o-Rama«, eine Firma aus Brühl bei Köln. Fast hat sie ein Monopol auf den Verkauf rechtsextremer Tonträger, unter anderem auch von Screwdriver. Die Verkaufsmethoden von Rock-o-Rama sind unkonventionell: Was es gerade im Angebot gibt, wird mittels eines fotokopierten, DIN-A5-formatigen Katalogs bekanntgegeben, der nur in interessierten Kreisen in Umlauf gebracht wird. Trotzdem läßt sich anscheinend gutes Geld damit machen. Markus Repkow, ein Bochumer Plattenverkäufer, schätzt den Umsatz der Brühler Firma auf mehrere Millionen Mark. Er glaubt, daß »große Umsätze im Osten gemacht werden«.

Der Osten bietet tatsächlich gewisse Vorteile. »Da kommen die Bands leichter an Räume«, sagt Olli, ein 26jähriger Westberliner und früheres Mitglied einer rechten Skinband. »Sie können ihre Konzerte in Ruhe machen, sie werden von den Linken nicht gestört. Und es ist eine Möglichkeit für Skin-Bands, vor einem großen Publikum zu spielen.« Trotzdem sind, wie früher im Westen, die Konzerte inoffiziell, nur gutinformierten Leuten zugänglich. »Die Konzerte werden kurzfristig ausgemacht«, meint der rechtsextreme Pistolenträger Marc. »Selbst wenn du's von einem erfährst«, sagt er mir, »würde ich an deiner Stelle nicht hingehen — mit deinen Haaren.«

Geheimnistuerei scheint eine Grundregel der rechtsextremen Szene zu sein. Trotzdem hilft mir Marc bei meiner Suche nach Ostberliner Läden, die rechte Musik verkaufen. »Versuch's mal in der Siegfriedstraße in Lichtenberg.« An deren Anfang ein namenloser Laden. Draußen hängen zwei Flaggen mit Motiven aus dem amerikanischen Bürgerkrieg. Drinnen begrüßt einen eine mannigfaltige Auswahl an Kultobjekten: Vom simplen Heavy-Metal-T-Shirts über Totenkopfringe, wie man sie auch fast überall erhalten kann, bis hin zu einer reichlichen Auswahl an Messern. Sogar eine kleine Pistole gehört zum Sortiment.

Aus einer Ecke bläst eine Box laute Musik in den kleinen Ladenraum hinein. In einer anderen Ecke finde ich, wonach ich suche: Platten von Störkraft, »Endstufe«, Screwdriver und »Kompagnie«. Für die Kaufkräftigeren gibt es auch rechte CDs. Hinter dem Tresen starrt mich ein dünner, drahtiger Mann im »Märtyrer«-T-Shirt mit mißtrauischen Augen an. Nach der scharfen Beobachtung, ich gehöre wohl kaum zur Skin-Szene, fängt er an, mich auszufragen. Ich teile ihm meinen Beruf mit und frage, woher er die Musik hat. »Ich kenne die meisten Bands persönlich«, sagt er und warnt mich: meine Recherchen könnten mich auf »gefährlichen Boden« führen. Als er einen Ausweis sehen will, zeige ich ihm meinen Presseausweis. »Ich dachte, sie könnten vom Verfassungsschutz sein...«

Der Mann muß seine jungen Kunden bedienen, also vereinbaren wir ein längeres Gespräch für den nächsten Tag. Ich bin zur vereinbarten Zeit da, aber keine Spur vom dünnen »Märtyrer«-Mann. Statt dessen ein etwas kräftigerer Typ, der nur eine forciert-höfliche Antwort auf meine Fragen kennt: »Tut mir leid, keine Interviews, keine Fotos.« Alles ist ein wenig wie im Film. Im Hinterzimmer flitzt ein Schatten an der Durchgangstür vorbei.

Ob eine Verbindung zwischen rechten Musikern und organisierten neonazistischen Gruppierungen besteht, ist umstritten. In einem vom Jugendsenat 1990 veröffentlichten Artikel schreibt der Sozialarbeiter Günther Orlopp: »Eine der ersten Skin-Bands war die Kölner Gruppe Cotzbroken, die 1979 als Punkgruppe gegründet wurde. Die zum Teil linken, sozialkritischen Texte wurden durch den Einfluß von Jugendlichen aus rechten Organisationen (NPD, Stahlhelm) aus dem Programm genommen, und die Band wurde nach und nach zu einer Schlägertruppe umfunktioniert.« Weiter schreibt Orlopp: »Die Mitglieder solcher Bands sind oft schon älter und haben diese Bands mit der Absicht gegründet, rechtsradikale Texte zu veröffentlichen. Beispiele sind ‘Screwdriver‚ (England) und die Gruppe ‘Böhse Onkelz‚ aus Frankfurt.« Orlopp spricht aus eigener Erfahrung. Früher, als er noch Punk war, kannte er auch »Bands, deren Mitglieder gleichzeitig Mitglieder von neofaschistischen Organisationen waren«.

Musik als Propagandainstrument?

Für mindestens eine weitere rechte Band trifft diese Doppelmitgliedschaft zu: Kraft durch Froide aus West-Berlin. Eines der führenden Mitglieder dieser Gruppe, Andreas Pohl, ist auch eine Prominenz in der Berliner »Nationalistischen Front«. Kraft durch Froide lösten sich allerdings 1986 auf. »Musikalisch ging da nichts mehr«, sagt Karsten, der für die Gruppe Baß spielte. »Pohl ist irgendwann hängengeblieben auf seinem politischen Trip. Und er hat seinen Kopf weggeraucht.«

Nach Karstens Ansicht sind die Kontakte zwischen rechten Rockgruppen und neonazistischen Gruppierungen selten und informell: »Meistens nur in Kneipen, wo ein paar Sprüche abgelassen werden, aber konzertierte Aktionen gibt es nicht.« der ehemalige Skin Olli bestätigt das: »Es wurde mehrfach versucht, Skins parteipolitisch einzugliedern. In Deutschland ist das immer gescheitert. Skins sind zu anarchisch. Und sie können mit dem Führerkult und mit der Disziplin der Parteien nicht fertigwerden.«

Allerdings bemerken die Westberliner Skins einen Unterschied zwischen sich und Ostskins. »Dort gibt es mehr politische Motive, mehr Leute sind in Parteien organisiert.« Die Grenzen zwischen Skin- und Neonazitum scheinen im Osten verschwommener als im Westen zu sein. »Wenn man im Westen früher zum Fußball gegangen ist«, erzählt Mati, »hat man gesehen, wie Skinheads am Bierstand standen und gesoffen haben. Dann gab's die Hooligans extra, dann irgendwelche Scheitel beziehungsweise welche, die in Parteien organisiert waren, die standen auch extra. Und im Osten ist das alles ein Schmelztiegel, alles zusammen.«

Diesen »Schmelztiegel« findet man bei rechtsextremen Konzerten wieder. Dort bauen neonazistische Gruppierungen ihre Werbestände auf. »Sie merken, daß sie da ihre Anhänger finden können«, schätzt der junge Ostberliner Michael. »Die Musik hat eine wichtige Rolle, um die Leute an die (neonazistische) Szene heranzubringen«, meint auch Markus Repkow. »Die Jugendlichen kaufen die Musik, dann wollen sie in die Konzerte gehen. Da treffen sie dann auf richtig harte Leute. Die Musik ist eindeutig ein Propagandainstrument.«

In dem Hohenschönhauser Jugendklub setzt Marc seinen Walkman wieder auf und verschwindet in einer Betonflucht. Ich hatte ihn im letzten Sommer kennengelernt. Damals war er noch Sympathisant. Mittlerweile ist er in die »Nationalistische Front« eingetreten. Jetzt müssen alle Interviews erst »mit der Partei abgeklärt sein«. Christopher Springgate

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen