: Die Möglichkeit zu kommunizieren
■ "Danny hat in der nächsten Englischarbeit gleich zwei Noten besser geschrieben." Mit diesem vollmundigen Slogan wirbt ein Veranstalter für seine Sprachreise-Programme. ...
„Danny hat in der nächsten Englischarbeit gleich zwei Noten besser geschrieben.“ Mit diesem vollmundigen Slogan wirbt ein Veranstalter für seine Sprachreise-Programme. ASTRID REICH fragt als Sprachwissenschaftlerin, was am prognostizierten Lernerfolg der Auslandsverschickung dran ist.
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lljährlich werden knapp hunderttausend deutsche Jugendliche vor allem in den Süden Englands, aber auch an Frankreichs Küsten, auf Malta, in die USA und in weitere Länder verschickt: Von ef, fee, Kompass, und wie die anderen großen und kleinen Veranstalter von Jugendsprachreisen alle heißen. Bessere Schulnoten in den Fremdsprachen scheint das Hauptmotiv der Jugendlichen zu sein. Zu diesem Urteil gelangte jedenfalls die Stiftung Warentest in ihrer Untersuchung 1989 über Schülersprachreisen nach England. So sehen es wohl auch die Sprachreise-Veranstalter. Vollmundig verkünden sie schon mal in ihrer Werbung: „Danny hat in der nächsten Englischarbeit gleich zwei Noten besser geschrieben.“ (fee) Darüber hinaus spielt die wachsende Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Freizeit eine wichtige Rolle. Besonders ältere Jugendliche und Erwachsene beurteilen gute Fremdsprachenkenntnisse als lebensnotwendig in einer immer stärker miteinander kommunizierenden Welt.
Können Jugendsprachreisen die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen? Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis? Immerhin müssen 1992 die Eltern für den Sprachreise-„Spaß“ ihrer fremdsprachlich aufzupäppelnden Sprößlinge tief in die Urlaubskasse greifen: Ein dreiwöchiger Nullachtfünfzehn-Sprachaufenthalt im Südosten Englands kostet je nach Veranstalter schlappe 1.800 bis 3.000 Mark. Wohlgemerkt: nur für die Anreise mit Bahn oder Bus, die Unterbringung in einer Gastfamilie, den Standardsprachkurs (in der Regel täglich 4 mal 45 Minuten), Freizeitaktivitäten sowie den obligatorischen London-Trip. Kleine Extras wie Intensivkurs, Kleingruppen-Unterricht, längerer Aufenthalt, Einzelunterbringung (Einzelzimmer und/oder einziger Deutscher pro guest-family) treiben den Preis schnell nach oben.
Trotz akzeptabler Noten für die untersuchten Schüler-Sprachreisen (13mal „gut“ und 5mal „zufriedenstellend“) kommt die Stiftung Warentest insgesamt zu einer skeptischen Einschätzung: „Der Lernerfolg ist eher bescheiden.“ Die Verbraucherschützer untersuchten die Konzeption der Sprachreisen, die Breite der Angebote, die Reise- und Unterbringungsmodalitäten, den Unterricht, das Preis-Leistungs-Verhältnis und die Geschäftsbedingungen mit objektivierbaren Kriterien. Sie berührten damit Probleme, die auch professionelle Spracherwerbsforscher aufwerfen würden.
Wie lernt der Mensch Sprachen? Welche Faktoren beeinflussen den Spracherwerb positiv oder negativ? Ist der Spracherwerb überhaupt steuerbar? Diese Fragen stellen sich Zweitspracherwerbs-Forscher, Psycholinguisten und Sprachlehr-/ lernforscher, wenn sie die Erwerbsprozesse im Unterricht mit Schülern und Erwachsenen oder bei Arbeitsmigranten, Aussiedlern und Asylbewerbern beobachten und analysieren. In der Fachwelt wird diese Diskussion kontrovers geführt. Die wissenschaftlichen Standpunkte unterscheiden sich unter anderem darin, inwieweit Spracherwerbsvorgänge als beeinflußbar erachtet werden. Einige Forscher nehmen an, daß Spracherwerbsprozesse weitgehend autonom ablaufen, andere meinen, daß diese Prozesse steuerbar sind, zum Beispiel durch günstige Lernbedingungen und Unterricht.
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ine auch für sprachwissenschaftliche Laien verständliche und unterhaltsame Lektüre ist die Einführung in den „Zweitspracherwerb“ von Wolfgang Klein. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen stellt hierin den Zweitspracherwerb in seinen unterschiedlichen Ausprägungen vor, diskutiert die grundlegenden, oben angesprochenen Fragen und analysiert die Probleme, mit denen die „Lerner“ im Spracherwerb konfrontiert sind. Dabei verweist Wolfgang Klein auf zwei Faktoren, die für das Lernen von Sprachen besonders wichtig sind, da sie Einfluß nehmen können auf die Art und die Qualität des Erwerbs: den „Antrieb“, eine Sprache zu lernen, und den „Zugang“ zu dieser Sprache.
„Hier spricht man (zuviel) deutsch“, betitelte die Stiftung Warentest ihre Sprachreisen-Story. Damit trifft sie den Problemkern von Jugendsprachreisen: „Antrieb“ und „Zugang“ sind nämlich vielfach nicht in der gewünschten Konstellation gegeben. Die Verbraucherschützer konfrontierten die Kataloganalyse mit den Umfrageergebnissen bei Sprachreise-Teilnehmern. Dabei kam heraus, daß die Kataloge oft gerade in punkto „Antrieb“ und „Zugang“ mehr suggerieren als tatsächlich durch die Reise eingelöst werden kann.
Zum „Antrieb“ gehört der bewußte oder unbewußte Wunsch zur „sozialen Integration“ (Wolfgang Klein). Bei Migranten ist dieser Wunsch, zur fremden Gemeinschaft dazuzugehören, sicher größer als bei Jugendlichen, die nur für kurze Zeit in die zweitsprachliche Gesellschaft „eintauchen“. Doch auch bei letzteren gibt es erhebliche Unterschiede: Im Negativfall wird die eigene Reisegruppe mit gleichaltrigen und gleichsprachigen Jugendlichen viel eher zum sozialen Bezugsrahmen als die fremdsprachige Umgebung. Diese Gefahr besteht vor allem bei Programmen, die neben dem Unterricht ein umfangreiches (Gruppen-)Freizeitangebot anbieten. Dadurch wird das „Eintauchen“ in die fremde Gesellschaft letztendlich behindert. Die England-Erfahrung reduziert sich auf folkloristische Begleiterscheinungen wie fish and chips, den Linksverkehr und den Rummel um Queen, Fergie und Lady Di. Auch die „kommunikativen Bedürfnisse“ gehören für den Psycholinguisten Wolfgang Klein zum „Antrieb“. Wenn die Jugendlichen von der anderssprachigen Umgebung durch Sprachunterricht, organisierte Freizeitaktivitäten und eigene erste Unternehmungen („Ein Bett im Kornfeld“) weitgehend abgeschottet sind, können natürlich keine echten „kommunikativen Bedürfnisse“ entstehen, die die Jugendlichen unter sprachlichen Handlungsanreiz oder -zwang setzen.
Der zweite Faktor, der den Spracherwerb beeinflußt, der sogenannte „Zugang“, wird durch die „Eingabe“, den sprachlichen Input, erzeugt. Im Idealfall besteht die „Eingabe“ aus jeder Menge Alltagssprache. Das sind sowohl sprachliche Äußerungen als auch kontextuelle Parallelinformationen wie Gestik, Mimik und „lautbegleitendem Material“ (Schreien, Räuspern, Husten). Nur wenn die Sprache als Alltagssprache in diesem nonverbalen und situativen Handlungszusammenhang erscheint, wird sie in ihrer umfassenden Bedeutung für die Sprachlerner verständlich und interpretierbar.
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m Gegensatz dazu ist das meiste Sprachmaterial, mit dem sich die Schüler im Unterricht rumschlagen müssen, künstlich „aufbereitet“ worden. „Die Möglichkeit zu kommunizieren“ gehört ebenfalls zum „Zugang“ zur fremden Sprache. Je mehr Raum für echte Kommunikation vorhanden ist, desto größer sind die Möglichkeiten, eigene Sprachfertigkeiten auszuprobieren und sich mit der zu erlernenden Fremdsprache auseinanderzusetzen. Auch im Fall des „Zugangs“ ergibt sich für die Jugendsprachreisen ein problematisches Bild. Die Alltagssprache, der ideale Input, wird durch Sprachunterricht und vorprogrammierte Freizeitgestaltung oft zu stark in den Hintergrund gedrängt. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind im Grunde sehr eingeschränkt.
Die große Unbekannte in der Sprachlern-Rechnung ist die Gastfamilie im fremden Land. Ist sie interessiert und engagiert, nimmt sie sich Zeit, dann kann der Auslandsaufenthalt für den Jugendlichen gewinnbringend und motivierend sein. Ein Sprachschüler pro Gastfamilie, auf jeden Fall nur ein deutschsprachiger, ist die wichtigste Voraussetzung für den Lernerfolg. Solche „Extras“ sind allerdings nur für einen moderaten Aufpreis von 50 bis 100 DM pro Woche zu haben, je nach Sprachreiseveranstalter. Mit der familiären Umgebung steht oder fällt also die Chose. Dichtung und Wahrheit: Trotz der Beteuerung aller Veranstalter, die Gastfamilien „sorgfältig“ auszusuchen, werden Jahr für Jahr so viele Simpsons, Smiths und Taylors rekrutiert, daß diese sorgfältige Auswahl zur Farce geraten muß. Oft sind es schlichtweg einkommensschwache families, die Gastschüler in Pension nehmen, um sich ein Zubrot zu verdienen.
Einige der Sprachreiseveranstalter (ef, fee und Dr. Steinfels) haben das Dilemma erkannt. Deshalb bieten sie Sprachreisen ohne Sprachkurs für Individualreisende an, bei denen tatsächlich „total“ (ef) eingetaucht wird. Offensiv angepriesen werden diese Möglichkeiten jedoch nicht, hinterfragen sie doch durch ihre schlichte Existenz das scheinbar so ausgeklügelte Sprachreisen-Konzept. Diese kursbefreiten Reisen kosten erstaunlicherweise fast genausoviel wie die genormten Sprachaufenthalte mit Unterricht und Freizeitaktivitäten. Schätzen die Veranstalter selbst den eigenen Unterricht so gering, oder schröpfen sie die individualistischen Sprachkursverweigerer über Gebühr?
Den optimalen Spracherwerb im Visier, erscheint also gerade derjenige Aufenthalt im Ausland sinnvoll, der sich am stärksten von der prototypischen Jugendsprachreise entfernt: ohne deutschsprachige Gesprächspartner, mit „völligem Eintauchen“ in die fremdsprachige, aufmerksame Umgebung und mit individueller Organisation der Reise. Dafür bedarf es jedoch nicht unbedingt der kommerziellen Jugend-Sprachreiseveranstalter. Fremdsprachige Brieffreunde, der „gute alte Schüleraustausch“ (Stiftung Warentest) oder ganz einfach Eigeninitiative tun es auch.
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