: Öffentlich-rechtliche Sander
„Jil — Eine Frau macht Mode“ von Marlet Schaake, Sonntag, SWF 3, 21.55 Uhr ■ Von Manfred Riepe
Einen Pullover für DM 1.000 kann ich mir nicht leisten. Beim letzten Winterschlußverkauf habe ich jedoch antizyklisch gedacht und mir einen schönen leichten Seidenblazer für den Sommer gekauft, und zwar für umgerechnet zweieinhalb taz- Artikel. Mit dieser meiner bescheidenen No-Budget-Couture am Leib eilte ich zur Jil-Sander-Pressekonferenz auf den just an diesem Tag bestreikten Frankfurter Flughafen, um zu erfahren, daß die Modeschöpferin aus dem nämlichen Grund nicht eingeflogen werden konnte. Die ernsthaft erwogene Möglichkeit, Frau Sander mit dem Bentley nach Frankfurt zu chauffieren, wurde als zu unsicher verworfen, wie mir ein anwesender Redakteur des Südwestfunks vertrauensvoll mitteilte. So blieb der Designerin nur die Möglichkeit, via Telefon und Lautsprecher den versammelten Damen und Herren Klatschkolumnisten ihr Bedauern mitzuteilen. Hinzu fügte Frau Sander, daß sie es ebenfalls bedauere, daß die Tagespresse in Deutschland zu wenig über Mode berichten würde. Das Wissen über Mode sei hierzulande defizitär. Dieses Defizit sollte nun, bevor es ans ausgezeichnete Buffet ging, durch einen Film behoben werden: Jil — Eine Frau macht Mode.
Doch zunächst: Wer ist Jil Sander — „Who's that girl?“ Auf den Seiten der Hochglanzmagazine ist Jil Sander ihr eigenes Model. Ihre Erscheinung hat die Hamburger Unternehmerin zu einer unverwechselbaren, kompakten Botschaft stilisiert. Betrachtet man ihr Gesicht, das für ihr Produkt steht, so stößt man zuerst auf das Phänomen, daß die Frau sich nicht im vulgären Sinn als Frau verkauft. Sie ist die Frau, die hinter der Profession verschwindet. Erotik und Sinnlichkeit sind bei ihrem Konzept bis auf einen unscheinbaren Rest zur Form sublimiert. Asketische Schmucklosigkeit, die sich bei genauer Betrachtung als komplexe, vielschichtige Schlichtheit erweist. Die Assoziation drängt sich auf, wieviel „Schminke“ notwendig ist, um das Ungeschminkte darzustellen, das ihr Konzept suggeriert. Die Modemacherin hat sich selbst zu einem hochartifiziellen Kunstprodukt stilisiert, dessen Bedeutung bis in den letzten Hemdkragen ihrer Entwürfe spürbar ist. Sie hat dies alles alleine bewerkstelligt. Bis zur Umwandlung ihrer Firma in eine an der Börse notierte Aktiengesellschaft im Jahr 1989 hat sie sogar das Management eigenhändig abgewickelt. Die Reinheit ihres Entwurfs als Gesamtem ist das Ergebnis konsequenter Abhaltung von Fremdeinflüssen, Unwägbarkeiten und Kompromissen: Keine Interviews, keine Hintergrundberichte, kein Klatsch, keine Skandale, kein Privatleben, keine Medien. Das insistierende Rätsel um ihre Person schlägt unmittelbar um in die Nachfrage nach ihrem Produkt. Das ist nicht nur clever, sondern die einzige Möglichkeit, es im Haifischteich der Modebranche zu etwas zu bringen. Und das ist das erklärte Ziel der Jil: „Think big“, ist das Motto der Schneiderin. Die 'Cosmopolitan‘- Autorin Marlet Schaake, eine Verwandte der herb-natürlichen 52jährigen, deren Lieblingsheldin der Dichtung laut 'FAZ‘-Fragebogen die Undine ist, hat ein 55minütiges Feature über Jil Sander gedreht. Das erste Filmportrait seit über zehn Jahren, dem die Designerin zustimmte. Wie gespannt ist man doch auf einen Film über diese Frau, von der wir nicht viel mehr wissen, als daß sie in Wahrheit Heidemarie heißt, einen Porsche mit dem amtlichen Kennzeichen HH-JS1466 fährt („Ich fahre nur Autos, die mir stehen.“) und Männer („Ein Computer hat doch mehr im Kopf als hundert Männer.“) ebenso nüchtern funktional betrachtet wie ihre Kunden: „Sie identifizieren sich mit meinen Entwürfen, und ich identifiziere mich mit ihren Wünschen.“
Andererseits läßt sich an fünf Fingern abzählen, was für eine Art Filmportrait das ist, dem die Sander ihre Zustimmung gab. Ist doch von vornherein offensichtlich, daß ein einziges schräges Bild von Sander eine Kettenreaktion auslösen könnte, welche das zentrale Marketingkonzept eines weltweiten Unternehmens gefährdet, das (einschließlich Lizenzprodukte) mit DM 200Millionen Umsatz pro Jahr nicht gerade eine kleine Änderungsschneiderei an der nächsten Straßenecke ist. Insofern ist der Film Jil — Eine Frau macht Mode vom Titel bis zur letzten Szene eine Lektion darin, wie man ein Werbekonzept um die Fiktion einer scheinbar hinter diesem Konzept stehenden Privatperson bereichert. Virtuelles Footage sozusagen.
Der gefilmte Besuch in ihren Privatgemächern ist wie die Audienz bei einer ebenso strengen wie sanften Herrscherin, die eins nicht duldet: Untätigkeit. Wir sehen das Bild einer Sander, die die edelste Form der Workaholic repräsentiert, die vorstellbar ist. Entweder sie erzählt davon, daß es im Grunde nichts über sie zu erzählen gibt, da sie — außer ihrem Interesse für den englischen Garten — keine Zeit für ein Privatleben hat.
Oder wir sehen sie im Studio bzw. Backstage bei einer Modenschau, planetengleich umringt von Edellakaien, die scheinbar nur darauf warten, stereotype Formeln der Bewunderung zu artikulieren. Star-Models (Abendgage zwischen drei- und zwölftausend Dollar) beteuern selbstredend, auch privat Klamotten von Sander zu tragen. Ein Topverkäufer auf der Stoffmesse in Como weiß zu berichten, daß Jil ihn mit ihren hohen Ansprüchen gelegentlich zur Verzweiflung bringt. Die temperierte Entrüstung aller zu Wort kommenden Mitarbeiter dient kalkulierterweise der umso tieferen Verbeugung vor ihrer Profession. „Schon als Kind“, so Autorin Schaake, „hatte Jil Sander ein außergewöhnliches Gefühl für Formen. Ihre Mutter mußte das Schulbrot in hübsche Schnittchen schneiden, damit die Tochter es überhaupt aß.“ Das sind diese Geschichtchen, die ebenso nichtssagend wie einsichtig sind.
Im einschlägigen Duktus der 'Cosmopolitan'-Sprache wird unter Vorspiegelung eines Personenportraits tatsächlich hemmungslos der Mythos Sander geschäftsfördernd potenziert. Temporäre Mißerfolge — wie das Scheitern ihres ersten Anlaufs in Paris 1973 — werden so hingebogen, daß nur Bewunderung für eine Frau stehenbleibt, die trotzdem nicht aufgibt. Mosaiksteinchen des im wahrsten Sinne maßgeschneiderten Bildes der Frau, die sich „maximal selbst verwirklicht hat“. Alles, was der Film über die Phantomgestalt Jil Sander berichtet, ist ein Aspekt jener Wunscherfüllung, die die Kundin (und demnächst auch der Kunde) mit dem Kauf einer Textilie des Namens Jil Sander verbinden soll.
Über die Privatperson Sander sagt der Film ebenso viel aus, wie eine Bundestagsrede über den Gegenstand einer Debatte. Sublimes Product-Placement, Verlängerung des Werbekonzepts mit den Mitteln der Kulturreportage — erklärtermaßen nicht von Sander gesponsert. Hätte bei RTLplus nicht verwundert. Aber bei einem öffentlich-rechtlichen Sander?
Wiederholung am 4.Juli in Eins Plus und am 1.August in West3
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