: Wider linken Zynismus und Larmoyanz
■ Thema der 13. »Volksuni« in Berlin war das „Drüber und Drunter in Deutschland“
Berlin (taz) — „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kommt aber darauf an, sie zu verändern“. Karl Marx ist noch immer im Foyer der Ostberliner Humboldt-Universität (HUB) verewigt — und unter seinem Leitsatz waren 2.500 BesucherInnen über Pfingsten bei der 13.Berliner „Volksuni“ zusammengekommen, um beim „links-alternativen Volksfest“ Macht und Ohnmacht, Herrschaft und Unterdrückung in Deutschland zu debattieren.
Über den meisten der Veranstaltungen zu Ökologie, Frauen, Soziale Bewegungen, Rassismus und Dritte Welt schwebte auch in diesem Jahr die eine, für viele alles entscheidende Frage: Was und wer ist heute noch links und wenn ja, warum? Daß die „Linke an einem Nullpunkt angelangt“ sei, konstatierte Georg Fülberth aus Marburg. Zynismus und Larmoyanz ersetzten strategische Debatten. Warum sonst sei es den „Linken“ weder möglich, den Nord- Süd-Konflikt, noch die Lage der politischen Gefangenen zu thematisieren? Statt dessen: Vorwärts nach Bosnien-Herzegowina! Die bisherigen Konzepte zur Bekämpfung des Imperialismus seien offenbar fehlgeschlagen. „Wir alle haben verloren!“
Die PfingststudentInnen, überwiegend Alt-68er oder PolitikstudentInnen erhofften sich auch Handlungsanweisungen. „Wie kann sich eine antikapitalistische Stoßrichtung formieren?“, wollte ein junger Politologe wissen. Alle lauschten gebannt. Der Berliner Politikwisenschaftler Ekkehart Krippendorff wußte Rat und verbreitete Optimismus. An der Sache solle man sich zusammentun, empfahl er. Paragraph218, Asyl, die neue militärpolitische Rolle Deutschlands. Sich als links zu verstehen, machte Krippendorf seinen ZuhörerInnen ebenfalls leicht. „Links sind diejenigen, die zwischen oben und unten unterscheiden können.“
Wider Erwarten ohne Zwischenfälle verlief der Vortrag des Friedensforschers Alfred Mechtersheimer. Der Asta der Freien Universität hatte im Vorfeld dagegen protestiert, Mechtersheimer, der unter anderem in der rechtsextremen Intellektuellenzeitung 'Junge Freiheit‘ publiziert, ein Forum für seine „rechtslastige Weltsicht“ zu geben. Seit 13 Jahren tagt die Volksuni als Forum der Debatte zwischen alten und neuen sozialen Bewegungen zu Pfingsten in Berlin — seit zwei Jahren in Ost-Berlin. Zum Kuratorium gehören inzwischen auch die BürgerrechtlerInnen Bärbel Bohley, und Jens Reich, sowie der ehemalige HUB-Rektor Heinrich Fink, der auch in diesem Jahr immer wieder die Partei der Bürger der Ex-DDR ergriff: „Hier gehen Dinge vor sich, die sind einfach nur zynisch.“ Aber auch: „Die größte Gefahr ist das Selbstmitleid.“ Jeannette Goddar
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