Wenn das Geld nicht fließen will

Die Finanzverhandlungen zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern beim Umweltgipfel sind festgefahren/ Arme Länder stellen 40 Änderungsanträge zum globalen Umweltprogramm  ■ Aus Rio Hermann-J. Tenhagen

Die Entwicklungsländer haben dem reichen Norden die Pistole auf die Brust gesetzt: Geld oder Leben. Auf dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro hat die Gruppe der 77 ärmsten Länder Erde (G-77) ein 40-Punkte-Forderungspaket zur Finanzierung der sogenannten Agenda 21 eingebracht. Die Agenda 21 ist das 800 Seiten starke globale Umweltprogramm für ein Überleben der Menschheit auf der Erde nach der Jahrtausendwende. Das Sekretariat der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (UNCED) schätzt die Kosten für die Umsetzung dieses Programms auf 600 Milliarden Dollar; 125 Milliarden davon sollen aus den reichen Industrieländern kommen.

„Wenn wir das Paket wirklich verhandeln wollen, brauchen wir noch zwei Wochen“, stöhnte ein westlicher Delegierter zu Beginn dieser Woche. Eigentlich nämlich sollten die Verhandlungen schon gestern abend abgeschlossen sein. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte der brasilianische Vorsitzende der Finanzarbeitsgruppe, Rubens Ricupero, einen achtseitigen Kompromißvorschlag vorgelegt. Dieses Papier hatten dann die Delegierten der G-77 zerfetzt. Den ganzen Dienstag über diskutierten nur kleine Arbeitsgruppen aus Nord und Süd über die 40 Änderungsanträge. Auch die G-77 schien sich über das weitere Vorgehen nicht einig.

Hauptknackpunkt ist die Forderung der Dritten Welt, die Entwicklungshilfe der Industrieländer müsse jetzt endlich — und das heißt bis zum Jahr 2000 — auf 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP) ansteigen. Daneben fordern die G-77 umgerechnet 25 Milliarden Mark für eine schnelle Auffüllung des Inter- Development-Association-Tresors (IDA) bei der Weltbank. Die IDA ist der Weltbank-Schalter für die ärmsten Länder. Die Gelder an diesem Schalter werden als verlorene Zuschüsse oder Kredite mit sehr niedrigen Zinsen und sehr langen Laufzeiten gewährt. Über eine Auffüllung des IDA müßte normalerweise die Jahrestagung von IWF und Weltbank im Herbst entscheiden.

„Die haben ihre gesamten Folterwerkzeuge wieder ausgepackt“, so ein anderer Westdiplomat. So sollen die Industrieländer nach dem Willen der G-77 auf der nächsten UNO- Vollversammlung im Herbst Schecks mitbringen. Besonders erbost sind die Industrieländer, weil die G-77 gleich in das Finanzkapitel eine Fluchtklausel einbringen will. Da heißt es dann: „Die effektive Umsetzung der Versprechen der Entwicklungsländer in der Agenda 21 wird von der Bereitstellung der finanziellen Ressourcen und vom Technologietransfer abhängen.“ Geld oder Leben.

Ricupero war nicht der einzige, der mit seinen Verbündeten Probleme hat. Auch die Europäer, die in Rio sonst mit einer Stimme auftreten, sind sich beim Geld nicht grün. Dänen, Niederländer und Franzosen haben nichts gegen das Ziel, bis zum Jahr 2000 jeweils 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Entwicklungshilfe einzusetzen: Nach ihren eigenen Rechnungen liegen sie jetzt schon darüber, wobei zum Beispiel Frankreich seine Überweisungen an die eigenen Gebiete in Übersee in das Entwicklungshilfe-Budget miteinrechnet.

Die Bundesrepublik hingegen scheut dieses Ziel, wie der Teufel das Weihwasser. Kein Wunder: Sie müßte die Entwicklungshilfe um jährlich 15 Prozent erhöhen, um das Ziel bis zum Jahr 2000 zu erreichen. Der deutsche Trend geht derzeit eher in die entgegengesetzte Richtung. Die bundesdeutsche Entwicklungshilfe, die vor der deutschen Einheit 1990 noch 0,42 Prozent des BSP ausgemacht hatte, ist in Gesamtdeutschland auf 0,36 Prozent gefallen, Tendenz weiter abnehmend.