piwik no script img

Ein Mord, der bis heute nicht aufgeklärt wurde

■ Ein Jahr nach dem Briefbomben-Attentat auf den Senatsangestellten Hanno Klein haben Kripo und Staatsschutz nicht einmal die Spur eines Täters oder Motivs/ Das Opfer war in der heißen Phase vor und nach der Wiedervereinigung zuständig für alle gößeren Bauprojekte in Ost-Berlins Mitte

Heute vor einem Jahr, um 23.00 Uhr abends, starb der 48jährige Senatsangestellte Hanno Klein. Eine Briefbombe, die als Päckchen getarnt in seine Privatwohnung geschickt wurde, war explodiert. Hanno Klein wurde am nächsten Morgen in einer Blutlache liegend von seiner Freundin gefunden. Bis heute tappen Kriminalpolizei und Staatsschutz im Dunkeln. Ob Klein von autonomen Gruppen umgebracht wurde — wie die Polizei glaubt — oder von der Baumafia — wie viele seiner ehemaligen Kollegen bei der Bauverwaltung glauben — oder womöglich von der Stasi, wurde nie geklärt, obwohl die Ermittlungen, die zwischenzeitlich eingestellt worden waren, im Dezember wieder aufgenommen wurden.

Klein, der seit 1990 Investorenbetreuer des Bausenators war, war vom Dienstrang her »nur« technischer Referent. Tatsächlich war der energische, ehrgeizige und machtbewußte Klein einer der wichtigsten Menschen im Immobiliengeschehen Ost- Berlins — und das während einer Zeit, in der Grundstücke von Milliardenwert unter Ausschluß der Öffentlichkeit den Besitzer wechselten. Mit Hunderten von Firmen hatte Klein in seinem Büro in der Behrenstraße zu tun, darunter alles, was in der Bauszene Rang und Namen hat, von der Klingbeil-Gruppe über die Holzmann AG bis zu einer Reihe von ausländischen Investoren.

Klein verhandelte wegen riesiger Projekte, etwa das große Gewerbegelände an der Spree, für das sich die kanadische Horsham-Gruppe interessierte, ein von der französischen Firma Amery geplantes Hochhaus am Prenzlauer Berg, das »Haus Dänemark« am Wintergarten unter Beteiligung der dänischen Königin, das Gelände zwischen Friedrich- und Oranienburger Straße, das die schwedische Firma Skanska wollte, das American-Business-Center am Checkpoint Charly von Marc Palmer und vor allem die 1,4 Milliarden Mark schweren Friedrichstadtpassagen, die kurz vor Kleins Tod an die Investorengruppen Galeries Lafayette, Bouygues und Tishmann & Speyer gingen. Bei einer Reihe dieser Projekte mag Klein — absichtlich oder unabsichtlich — Ost-Firmen und -Besitzern auf die Füße getreten haben, die sich schon im Besitz dieser Grundstücke wähnten.

Vor der schieren Masse der Namen in Kleins Terminkalender verzweifelten denn auch die ermittelnden Behörden. Die Abteilung der Kripo, die sich mit Wirtschaftkriminalität befaßt, muß sich zudem noch mit der Vereinigungs- und Regierungskriminaliät nach dem Ende der DDR herumschlagen.

Nachdem gut eine Woche nach dem Attentat ein in gestelztem Duktus verfaßter Bekennerbrief aufgetaucht war, der mit »für den Kommunismus« gezeichnet war, kaprizierte sich der Verdacht der Polizei auf linke Gruppen. Grund dafür war, daß Klein im 'Spiegel‘ »Markanz und Brutalität« für die Stadtplanung am Prenzlauer Berg prognostizierte. Die Autonomen stritten jedoch stets ab, mit dem Attentat etwas zu tun zu haben. Die Polizei verhörte außerdem Kleins Angehörige, auch das ohne Ergebnis.

Auch über das Motiv rätseln Polizei und Staatsanwaltschaft nach wie vor. Klein, der auch Geschäftsführer des senatlichen Koordinierungsausschuß' für innerstädtische Investitionen war — ein Gremium, in dem monatlich die anstehenden Grundstücksgeschäfte besprochen werden —, durfte zwar offiziell nichts entscheiden. Aber durch seine zentrale Rolle bereitete er viele Entscheidungen vor, zudem erweckte er bei seinen Verhandlungspartnern oft den Eindruck, er sei eigentlich der Senator. Die Polizei vermutete zeitweise, er habe sich korrumpieren lassen und womöglich Versprechungen an Investoren gemacht, die er nicht erfüllen konnte. Relativ wahrscheinlich ist zumindest, daß die Briefbombe eher als eine Warnung gedacht war denn als Mordanschlag. Denn schon zuvor hatte Klein telefonische Drohungen erhalten. Die Frage ist: Eine Warnung wovor?

Fest steht nur, daß Klein die Bauverwaltung verlassen wollte. Sein Versuch, bei der senatseigenen Wirtschaftförderung unterzukommen, scheiterte zwar. Jedoch hatte er Angebote von zwei Baufirmen, die ihn als Geschäftsführer einstellen wollten, darunter Amery. Klein wäre am Wochenende nach seinem Tod nach Paris geflogen, um mit den Franzosen darüber zu verhandeln. Möglicherweise kam es jemandem ungelegen, daß Klein in seiner Funktion als Senatsmitarbeiter dann nicht mehr zur Verfügung gestanden hätte. Möglicherweise hatte Klein aber auch von einer Transaktion erfahren, die unter der Decke bleiben sollte.

Während der Mord an Hanno Klein rasch in Vergessenheit geriet — nicht einmal die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, das am Tag nach dem Attentat tagte, hielt eine Gedenkminute für notwendig — erregten in den Monaten danach andere Vorgänge im Baubereich Aufsehen. So wurde im Sommer letzten Jahres eine senatsinterne Auseinandersetzung über den Umgang mit restitutionsbefangenen Grundstücken in Ost-Berlin öffentlich: Das Rechtsanwaltsbüro Knauthe und Partner erarbeitete für den Regierenden Bürgermeister einen Gesetzesvorschlag, der Alt-Eigentümer weit umfassender in ihre ehemaligen Rechte eingesetzt hätte, als es der Bauverwaltung und ihrem Vertreter Klein recht gewesen wäre. Klein hatte davon gewußt, denn mit Hilfe dieser »Lex Knauthe« konnte sich etwa die Heidelberger Firmengruppe Roland Ernst, die Rückübertragungsrechte an der Friedrichstraße gekauft hatte, noch zu Lebzeiten Kleins in die Friedrichstadtpassagen drängen.

Ende letzten Jahres machten sich zwei ehemalige Mitarbeiter Kleins, Bernd Ruschitzka und Martin Trebs, und eine ehemalige Angestellte der Senatsfinanzverwaltung, Christina Pfeiffer, mit einem Ingenieurbüro selbständig. Sie übernahmen Aufträge für den KOAI-Ausschuß des Senats, dabei sollen sie ihr vormaliges Insiderwissen genutzt haben. Daraufhin gerieten Ruschitzka und Trebs erneut ins Visier der Kripo, die die Ermittlungen wegen Kleins Tod wieder aufnahm.

Anfang dieses Jahres stellte sich heraus, daß Daten von Alt-Eigentümern an Makler verkauft worden waren, die so diese Restitutionsansprüche erwerben konnten. Auch Marc Palmer, so erfuhr man, hatte von der Finanzverwaltung Adressen von den Alt-Eigentümern bekommen, deren Grundstücke sein geplantes American-Business-Center tangierten. Puzzlestücke, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt zusammenpassen, denen aber auch niemand intensiv nachgegangen ist.

In der Friedrichstadt, deren Gestaltung Hanno Kleins Lebensziel gewesen war, ist inzwischen der Kuchen verteilt. Der Abriß der Friedrichstadtpassagen hat begonnen, das »Haus Dänemark« am Wintergarten, das Skanska-Projekt und das amerikanische Business-Center sind vom KOAI bestätigt. Von dem Horsham- Projekt und dem Hochhaus von Amery ist keine Rede mehr. Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der heute an Kleins Stelle in der Behrenstraße sitzt, verfolgt nun ein neues, kleinteiligeres, an der Parzelle orientiertes Architekturkonzept für die Friedrichstadt. Hanno Klein ist, auch in der Bauverwaltung, fast vergessen. Eva Schweitzer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen