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Der „Antifaschismus“ ist am Ende

■ Warum die Theorie des Antifaschismus endgültig abgewirtschaftet hat: Vier Thesen von Hermann Kuhn

Der „Antifaschismus“ als politische Theorie und politische Haltung ist am Ende. Er sollte dies selbstkritisch begreifen und die Konsequenzen ziehen. Vorweg möchte ich aber einer Befürchtung — oder auch bequemer Ausflucht — begegnen. Es soll weder theoretisch noch praktisch eine „Schlußstrich-Diskussion“ geführt werden — aber gerade deswegen halte ich eine selbstkritische Diskussion über den Antifaschismus für notwendig. So provozierend das zunächst klingen mag: Die Triebkräfte und Motive der einzelnen Menschen, die sich als Antifaschisten verstehen, sind die stärkste Kraft gegen das Vergessen, aber die geschichtlich gewachsene Bewegung des „Antifaschismus“ hat diese Gegnerschaft auch gehemmt und geschwächt.

1.Antifaschismus wird von vielen als ein Begriff verstanden, hinter den sich jede Gegnerschaft zum Nationalsozialismus einordnen läßt. Antifaschismus oder — mehr in Männerbundmanier — „Antifa“ steht dazu immer auch für den Versuch, solches Denken und Handeln heute nicht wieder aufkommen zu lassen. Antifaschismus erscheint also als ein einfacher Begriff, der durch seinen Gegensatz definiert und legitimiert ist. Tatsächlich aber ist er keineswegs ein einfacher Begriff. Er nennt ja seine Gegner schon nicht einfach Nationalsozialismus oder italienischen Faschismus, sondern faßt sie zusammen im Epochenbegriff des Faschismus. In der kommunistischen Definition bedeutet Faschismus dabei immer das gesetzmäßige Resultat kapitalistischer Krisenentwicklung. Faschismus als das letzte Stadium des Kapitalismus: Daran hat sich der Antifaschismus theoretisch festgemacht — an einem einseitigen und verhängnisvoll unbrauchbaren Erklärungsmuster.

Meine eigene politische Generation hat diese kommunistische Definition des Nationalsozialismus 1968 gegen die damals herrschende Auffassung übernommen. „Kapitalismus führt zum Faschismus, Kapitalismus muß weg!“, haben wir skandiert. Und W.F. Haug formulierte für uns: „Der Kampf gegen den Faschismus ist zu gewinnen nur als Kampf für den Sozialismus.“

2. Auch wenn es dem Begriff des Antifaschismus nicht immer auf den ersten Blick anzusehen ist: Er bedeutet mehr als die einfache Opposition zu Nationalsozialismus. Was über das einfache Nein zum Nationalsozialismus hinausgeht, gründet sich nun aber nicht auf bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte, und schon gar nicht auf „bürgerliche“ Demokratie. Im Antifaschismus steckte immer auch der positive Bezug auf die ökonomische Negation des Kapitalismus, den Sozialismus (oder was dafür gehalten wurde). Sozialismus, das war das „ganz Andere zu Auschwitz“.

Hier liegt der Grund dafür, daß der Antifaschismus kein gemeinsamer Konsens in Ost- und Westdeutschland werden konnte, nicht einmal unter den Gegnern und Opfern des Nationalsozialismus selbst. In der späteren DDR entwickelte sich als Partei- und Staatsdoktrin die Gleichung Nationalsozialismus gleich Faschismus gleich krisenhafter Kapitalismus, außerdem gleich Kontinuität des Kapitalismus und Faschismus in der Bundesrepublik. Die andere Seite der Gleichung war ebenso einfach: Antifaschismus muß Antikapitalismus sein, praktischer Antikapitalismus ist Enteignung, gleich Sozialismus gleich UdSSR und DDR.

Im Westen Deutschlands zog Margarete Buber-Neumann, die als Gefangene in Stalins und Hitlers Lagern gesessen hatte, eine ganz andere Schlußfolgerung aus dem „Nie wieder!“: Der aktuelle und eigentliche Anti-Nazismus sei der Kampf gegen die noch existierende Diktatur, den Kommunismus der SU und DDR. Durch den positiven Bezug auf Freiheits- und Menschenrechte konnte der Antitotalitarismus beide, nein, alle totalitären Regime in gleicher Weise kritisieren und mußte sich nicht in einer falschen Alternative eines Entweder — Oder verlieren. Allerdings: In der Bundesrepublik war er nach kurzer Zeit durch die „Einäugigen“, die über der Kritik am Kommunismus gern die Verbrechen des Nationalsozialismus vergessen machen wollten, so sehr in Mißkredit gebracht worden, daß wir 1968 polemisch dagegen zum Begriff des Antifaschismus griffen. Die falsche Gleichsetzung von „Rot“ und „Braun“ ersetzten wir durch die ebenso falsche und fatale These, daß allein „Rot“ der natürliche und ernsthafte Gegensatz zu „Braun“ ist.

3. Die politische Haltung und das Selbstverständnis der Antifaschisten hat von den 30er Jahren an bis zuletzt nicht das mörderische Schweigen zu allen Verbrechen des realen Kommunismus verhindert. Nicht einmal den offenen Antisemitismus hat dieser Antifaschismus verhindert, weder in den 50er Jahren der Sowjetunion und der DDR, noch 1968 in Polen. Auch nicht den Überfall auf andere souveräne Staaten wie 1968, auch nicht den individuellen Terror — denn auch die RAF hat sich, und das wohl mit großem Recht, als Zweig vom Stamm der antifaschistischen Bewegung verstanden. Dieses Versagen des Antifaschismus, sein Schweigen, ja die aktive Mitwirkung sind keine bedauerliche Unvollkommenheit, sondern ihm immanent: Die unerbittliche, opferbereite, auch heroische Gegnerschaft zum Nationalsozialismus ist nicht abgesichert durch ein positives Fundament, von dem aus sich die Verbrechen des Kommunismus kritisieren ließen; oder aber, wo es da ist, wird es zersetzt durch politische Opportunitätserwägungen. Der Kampf für den Sozialismus als der Quintessenz des Antifaschismus erfordere eben dies und jenes „Unerfreuliche“, der Zweck heilige die Mittel, und wie die Rationalisierungen auf dem Weg in die Kommunistische Diktatur alle hießen.

4. Der Antifaschismus war das Band, das die westdeutsche Linke „bei aller Kritik“, wie meist formuliert wurde, über Jahrzehnte politisch und emotional mit der DDR verband. Ein untergründiges, aber darum wohl umso haltbareres Band. Der Wille zur Wiedergutmachung deutscher Schuld, genährt durch die Leugnung dieser Schuld in der BRD, verknüpfte sich mit der Vorstellung, in dieser wesentlichen Hinsicht jedenfalls sei die DDR seit den Kriegsverbrecherprozessen und den Enteignungen das „bessere Deutschland“ gewesen. An der Bundesrepublik dagegen hing das Odium der Kontinuität der Krupps und Globkes und Oberländers. Wir selbst haben dieses Odium gepflegt bis hin zum Schlachtruf „Polizei — SA — SS“ und dem Reden von den „Faschistischen Schweinen“, wenn der individuelle Terror seinen nächsten Schlag begründete.

Emotional besetzt in der Verstrickung mit historischer Schuld, schillernd zwischen einfachem Widerspruch zu Nationalsozialismus und Antisemitismus einerseits und einer auf sozialistische Strategie ausrichtenden Einengung andererseits: Der Begriff des Antifaschismus hat wesentlichen Anteil daran, daß die westdeutsche Linke nur sehr sehr schlecht in der Lage war, die längst fällige Selbstkritik des Sozialismus zu leisten. Noch heute besteht eher die Gefahr, daß sie sich trotzig auf den Antifaschismus als die letzte Bastion zurückzieht, die nach dem Fall des realen Sozialismus zu bleiben scheint. Täte die Linke das, würde sie sich nicht nur selbst schaden — das wäre womöglich nicht so tragisch —, sie würde auch die Aneigung der deutschen Geschichte jenseits falscher Alternativen weiter behindern.

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