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Die totale Dokumentation des John Lennon
Der New Yorker Journalist Frederic Seaman, der eine deutsche Mutter hat und daher fließend deutsch spricht, ist für eine Promotion-Tour aus Anlaß der deutschen Erstausgabe seiner „persönlichen Erinnerungen“ über den Ozean gekommen. Dem dramatischen Titel The last days of John Lennon mochte der Kölner vgs- Verlag aber nicht folgen und brachte jetzt das Buch unter dem Titel Geborgte Zeit heraus.
Seamans Onkel Norman hatte in den Sechzigern Yokos Performances in New York produziert. Seine Tante Helen war Kindermädchen von Johns und Yokos gemeinsamem Sohn Sean. Im Februar 1979 wurde Seaman von Yoko Ono eingestellt: „Yoko erklärte mir, daß sie jemanden brauche, um nach John zu sehen, ein paar Einkäufe zu machen, Fanpost zu beantworten und mit John Naturreis zu kochen. Da ich einen Tag nach John Geburstag habe, entschied sie, daß ich geeignet für diesen Job sei, und auch John fand ein Kriterium für meine Eignung: Ich trage denselben Vornamen wie sein Vater und dessen Beruf war Seemann. Also fing ich sofort an und bekam für diese „leichten Tätigkeiten“ 175 Dollar die Woche. Schon bald stellte sich heraus, daß dieser Job ein ,full time job‘ war. Ein Privatleben hatte ich kaum noch und ich war bis zum Tode Lennons nur noch im Dakota beschäftigt.“
Das Dakota-Building, bekannt als düsterer, unheilvoller Drehort für den Film Rosemary's Baby, ist ein Apartmenthaus für die High Society. Lauren Bacall, Leonard Bernstein und Roberta Flack lebten dort. Die Lennons hatten zwei Wohnungen im siebten Stock und Yoko hatte im Erdgeschoß noch ein Büro für ihre Geschäfte. „John und Yoko lebten zwei verschiedene Leben“, war Seamans erster Eindruck, „während Yoko ständig in ihrem Büro war und ununterbrochen telefonierte, war John allein mit seinen drei Katzen in der Wohnung und tat den ganzen Tag nichts außer fernsehen und lesen. Ich war sehr irritiert, einen ganz anderen John Lennon kennenzulernen, als ich erwartet hatte. John lebte völlig isoliert und war sehr deprimiert. Seine Berühmtheit und die Abgeschiedenheit im Dakota-Haus machten es ihm unmöglich, normale Beziehungen zu anderen Menschen zu haben. Er traute sich tagelang nicht aus dem Haus. Er lebte wie ein Gefangener in seiner eigenen Wohnung. Das Gefühl, nutzlos zu sein, kompensierte er durch Anfälle von Kaufrausch. Für Tausende von Dollar bestellte er überflüssige Dinge aus Katalogen.
Als Grund für diesen Gemütszustand nennt Seaman die völlig emotionale Abhängigkeit von Yoko Ono: „Unglückliche Frauenbeziehungen bestimmten Johns Leben. Er hat immer nach einer starken Frau gesucht, die ihm sagen konnte, wie er zu leben habe. Yoko war so eine starke Frau. John nannte sie 'Mutter‘, und er akzeptierte es, daß Sean und er um Termine in Yokos Terminkalender nachzusuchen hatten, wenn sie gemeinsame Mittagessen wollten.“
Über Yoko Ono hat Seaman wenig Gutes zu berichten. Mit einem netten Lächeln packt er eine heftige Portion Bosheiten über die Frau an John Lennons Seite aus: heroinsüchtig sei sie gewesen, ausgenutzt habe sie John, keinerlei Trauer habe sie über seinen Tod gezeigt. Seamans Buch ist ein Freudenfest für diejenigen Fans, die schon immer Yoko Ono die Schuld an allem gegeben haben: an der Trennung der Beatles, an den schlechten Platten von John, an seinen Drogen- und Alkoholexzessen, an seiner fünfjährigen musikalischen Funkstille und an der gnadenlosen Vermarktung seines Todes.
„Die Ehe existierte nur für die Öffentlichkeit“, behauptet Seaman, „John und Yoko haben immer wieder Fotos aus dem Privatleben inszeniert und mein Job war es, bei diesen Gelegenheiten zu fotografieren und diese Fotos an die Presse weiterzugeben. John mochte gern mit Yoko zusammen fotografiert werden, weil das das einzige Mal war, wo er von Yoko etwas Zärtlichkeit erhielt. Im Privaten gab es solche Szenen nicht. Privat hat sich Yoko ihm entzogen. Sie hat ihm öfter Vorträge gehalten, daß sexuelle Enthaltsamkeit eine Form der Meditiation sein könne. Aber sie selbst hatte zu der Zeit einen Liebhaber, Sam Green. Mich hat das sehr traurig gemacht, weil ich den Eindruck hatte, daß John Yoko immer noch sehr liebte. Doch was ich sehen konnte, war eine sehr einseitige Liebe. Yoko hat John nur für ihre Karriere benutzt.“
Auch das Image des Hausmanns und fürsorglichen Vaters hat Seaman nicht wiedergefunden: „John war viel zu ungeduldig, um Sean zu erziehen. Das einzige, was er ausgiebig mit Sean machte, war, gemeinsam Zeichentrickfilme im Fernsehen anzuschauen oder ihn zum Zeichnen zu motivieren.“
Wenn John von Yoko getrennt war, dann war er gleich viel lockerer: „John und ich fingen im Frühjahr 1980 an zu segeln. Ich hatte für John ein Segelboot gekauft und es gefiel ihm sehr gut auf dem Wasser, er fühlte sich frei und manchmal war er aufgeregt wie ein Kind. In dieser Zeit begann er auch wieder, kreativ zu arbeiten. Ich hatte auch einen apfelgrünen Mercedes-Kombi gekauft und wir fuhren viel durch die Gegend. Und bei einer dieser Fahrten kam Paul's neuester Hit 'Coming Up‘ im Radio, und der gefiel John; er wurde sehr aufgeregt und hat gesagt, wenn Paul jetzt wieder was Gutes macht, dann ist es an der Zeit, daß er auch wieder anfange, Musik zu machen. John mochte Pauls Solomusik nicht besonders, und er war der Meinung, solange Paul ziemlich schlechte Musik machte, war es okay, wenn er überhaupt nichts machte. Aber da ihm die neue Platte gefiel, fühlte er sich herausgefordert.“ War Johns immer noch durch Neid, Sticheleien und Konkurrenz geprägtes Verhältnis zu Paul McCartney die einzige Motivation, um nach fünf Jahren erstmalig wieder ins Plattenstudio zu gehen? „Nein, die Idee war schon länger in seinem Kopf. Aber 1980 hatte Yokos Astrologie bestimmt, daß es eine gute Zeit sei, um eine Schallplatte zu machen. Und während der Plattenaufnahmen zu Double Fantasy war er wieder der wahre John Lennon, sehr kreativ, sehr stark, sehr zielbewußt, sehr diszipliniert. War nun John Lennon, einer der genialen Musiker der Rockgeschichte, privat ein Versager, ein Nichtsnutz?
Seamans Kurz-Psycho-Analyse: „John war emotional verkrüppelt. Seine Tragödie war der Widerspruch zwischen seiner hervorragenden Intelligenz und seiner emotionalen Leere. Er fand keinen Weg, diesen Widerspruch zu lösen.“
Nach dem Tode Lennons hat Seaman dessen Tagebücher Sohn Julian zukommen zu lassen. Eine Dummheit, wie er heute sagt, die ihm ein Jahr Gefängnis eingebracht hat. Für sein John-Lennon-Buch hat er sich zehn Jahre Zeit gelassen: „Ich fühlte immer, daß ich dieses Buch schreiben mußte. Ich betrachtete es als eine geschichtliche Verantwortung. Ich bin sicher, daß ich etwas zum Verständnis von John Lennon und seiner Musik beitragen kann. Aber es hat mich Jahre gekostet, bis ich genug emotionale Distanz und genug Objektivität gewinnen konnte.“
Skrupel, die Privatsphäre zweier Menschen auszuplündern, hat Seaman nicht: „John hat mich ermuntert, ein Tagebuch zu führen. Er hat auch selbst ein Tagebuch geführt, er war stets besessen davon, seinen Alltag zu dokumentieren, er hat ständig Polaroidfotos gemacht. Ich habe fotografiert, die Videokamera lief ständig, es gab eine totale Dokumentation des Familienlebens.“ Thorsten Schmidt
Frederic Seaman, John Lennon: Geborgte Zeit. vgs Köln1992, 39,80 DM.
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