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Der Mann, der aus dem Kino fiel

Autorenfilmer Reinhard Hauff findet heute nur noch im TV eine Sendenische: Einsplus zeigt eine Werkschau  ■ Von Christof Boy

Seitdem sich viele der Progammkinos dem Abspieldiktat der großen Verleihe zu beugen beginnen, gibt es dort nur noch selten Platz für größere Retrospektiven. Allenfalls wird ein gerade anlaufender Film mit ein paar älteren garniert. Von Vollständigkeit kann keine Rede sein. Die wirkliche Werkschau bleibt dem Volkshochschulkino vorbehalten oder dem Fernsehen. Auch da haben Verschiebungen stattgefunden — von den dritten Programmen in die Kabelkanäle. So waren die umfassenden Retrospektiven über Wim Wenders oder Peter Lilienthal den Zuschauern von Einsplus vorbehalten.

Kinofilme und ihre Regisseure im Dauerzustand der Nischen-Existenz, gerade bei der jüngsten Retrospektive ein kurioser Umstand, denn Reinhard Hauff hat beim Fernsehen angefangen und sich dann freigestrampelt — nach und nach, bis seine Filme auch ohne das Fernsehen Bestand haben konnten. Jetzt gibt es für ihn nur noch ein Plätzchen im Kulturkanal jenes Senders, der immer soviel Reklame mit der ersten Reihe macht. Diesmal sitzt man ziemlich weit hinten, so gegen 22 Uhr.

Also Reinhard Hauff, auf der Mattscheibe betrachtet. Verblüffend für viele, die den Filmemacher als Gegenwartsregisseur der siebziger Jahre schätzen, mag sein, daß er bei Michael Pfleghar angefangen hat und dort an die großen Unterhaltungsshows herangeführt wurde. Doch schon nach vier eigenen Shows, darunter ein musikalisches Porträt von Abi und Esther Ofarim, hat Hauff die Nase voll und kehrt der TV-Unterhaltung den Rücken. Mit seinem ersten FernsehspielDie Revolte gelingt es Hauff, die Lebenssituation der 68er-Generation zu charakterisieren. Hauff ist bei seinen Helden angelangt — es sind allesamt Verlierer, die in Bedrängnis geraten, weil sie sich gegen das von ihnen Erwartete wehren. Auch in Die Verrohung des Franz Blum (11.7.) geht es um einen Außenseiter, der aus seiner bürgerlichen Existenz ausbricht und einen Banküberfall begeht. In der Haft lernt Blum schnell, daß er sich nur durchsetzen kann, wenn er die Rangordnung unter den Gefangenen zu seinen Gunsten verschiebt.

Hauffs Filme sind dem politischen Diskurs der siebziger Jahre verpflichtet. Er betreibt Aufklärung mit filmischen Mitteln. Da die Handlungen der Menschen als gesellschaftlich bedingt galten, schwingt immer auch eine Kritik am System mit. Doch Reinhard Hauff muß geahnt haben, daß die Entlarvung gesellschaftlicher Zwänge nur einen Teil der Wahrheit darstellen. Der Zynismus des Systems ist menschengemacht. Deshalb bleibt Hauff ganz nah bei seinen Protagonisten — wie in Paule Pauländer (25.7.). Da ist eben zuerst einmal der Bauernjunge Paule, der von seinem Vater schikaniert wird, und dann ist da auch noch das System Provinz, diese Tragödie aus Rückständigkeit und tradierten Mustern der Herrschaft.

Am Ende von Hauffs Entwicklung stehen zwei Filme, die sich mit Deutschland im Herbst und dem Danach auseinandersetzen. Mit Messer im Kopf (8.8.) ist es dem Regisseur gelungen, das Phänomen des Terrorismus schon lange vor den Debatten über Recht und Unrecht des Untergrundkampfes auf den Punkt zu bringen. Er konzentiert sich auf den frustrierten Wissenschaftler Hoffmann, der nach einem Kopfschuß während einer langwierigen Genesungsphase zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit jene Gedanken zum Thema formuliert, die allen politisch Aktiven schon eimmal durch den Kopf geschossen sind. Hauffs Aufarbeitung der Haftbedingung der RAF- Häftlinge in Stammheim, der in der Eins-plus-Reihe leider nicht zu sehen ist, war da nur noch eine Pflichtübung — von allen erwartet, mit dem „Goldenen Bären“ ausgezeichnet und dennoch wenig überraschend.

Das Ende der Werkstatt ist auch das Ende der Laufbahn eines deutschen Autorenfilmers. Vom Fernsehen übers Kino zum Fernsehen. Vielleicht ist es der Verlust eines politischen Leitbildes, das mit dem Sozialismus über Bord gegangen ist. Vielleicht ist es die persönliche Krise eines Regisseurs, der sich in der von amerikanischen Massenprodukten beherrschten Kinolandschaft nicht mehr zurechtfindet. Auf jeden Fall sieht der jüngste Film von Reinhard Hauff so aus, als sei ihm der Boden unter den Füßen entzogen worden. Mit den Clowns kamen die Tränen (29.8./5.9./12.9.) ist eine pädagogisierende TV-Sendung über die Gefahren der Gentechnolgie, erbärmlich in die Länge gezogen, damit es zum Mehrteiler reicht — eine Konzession ans Fernsehen, die Hauff zum Schwadronieren verurteilt.

Einsplus setzt die Hauff-Retrospektive an diesem Samstag mit Desaster fort. Eine Bulle-Bandit-Geschichte aus der Zeit, als Klaus Löwitsch noch nicht Peter Strohm, sondern Schauspieler war. Wieder zwei Versager, die alles falsch machen, weil sie alles besonders gut machen wollten. Der Polizist Urs Werther kümmert sich lieber um eine Ohnmächtige als um die Verhaftung des Bankräubers. Und der läßt völlig verdutzt seine Plastikhülle mit den Scheinen in der Schalterhalle liegen. Klar, daß sich die beiden zusammentun und abhauen. Klar auch, daß sich Hauff — Anfang der siebziger Jahre — von amerikanischen Roadmovies beeinflussen ließ. Ein Versuch, mit viel herumwehenden Zeitungen aus einer deutschen Großstadt New York zu machen. Und irgendwie ist das mehr als nur rührend. Denn abseits all der kleinen Marotten und übertriebenen Bilder merkt man dem Film an, daß es damals noch ums Filmemachen ging und nicht darum, wie man die Gelder der Filmförderung am besten unter die Leute bringt.

Weitere Hauff-Termine: Zündschnüre, 18.7., 21.15 Uhr; Der Hauptdarsteller, 1.8., 21.15 Uhr; 10 Tage in Calcutta, 15.8., 21.25 Uhr; Linie 1, 22.8., 21.10 Uhr

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