: Allmächtige Götter
■ »Der Sturm« nach Shakespeare für Puppen und Menschen im Weiten Theater
Hellersdorf, U-Bahnhof Louis- Lewin-Straße. Häuserblöcke in ihrer einfallslosen Zweckdienlichkeit und Gleichheit machen hier das Stadtbild aus. Das Weite Theater ist unschwer zu finden: Als bunter Farbtupfer unterbricht es die niederdrückende Monotonie dieser Gegend und wirkt allein dadurch schon einladend.
In einem kleinen Raum befindet sich die Bühne, ausgestattet nur mit einem langen Tisch und von der Decke herabhängenden, durchsichtigen Tüchern. Nichts weist auf die Kulissen für einen Sturm hin — den Sturm von Shakespeare.
Doch dann setzt das Heulen des Windes ein, zwei Menschen schreien einander Worte der Ohnmacht zu, sie klammern sich angstvoll an ihrem bedrohlich schwankenden Schiff fest.
Szenenwechsel. Der lange Tisch wird zur Insel, auf der Prospero und seine Tochter Miranda leben. Mit Zauberkraft hat Prospero den Sturm entfacht, um alte Feinde an diesen Strand und in seine Gewalt zu bringen.
Die Wellen spülen Ferdinand, den Sohn des Königs von Neapel, an Land, der Luftgeist Ariel singt unsichtbar sein Lied. Eine zauberhafte Szene: Vorsichtige Hände bewegen ein grünes Seidentuch gleich unendlich sanftem Wind, der über das Meer streicht, eine schöne Frauenstimme schwebt dünn durch den Raum. Die Figuren sind Handpuppen, körperlos, in lange weite Gewänder gehüllt.
Ferdinand und Miranda verlieben sich auf den ersten Blick ineinander, Prospero aber sperrt den Jüngling ein, um Rache zu üben für das Unrecht, das dessen Vater ihm einst antat.
Die Puppenspieler, allmächtige Götter, verleihen den Figuren Bewegung und Sprache, sie lösen sich auf im Leben ihrer Gestalten und nehmen wieder Form an — die Puppen werden Objekte: lächerliche Pappköpfe oder Figuren in einem Schachspiel.
Zum Schluß löst sich alles in Wohlgefallen auf, Prospero führt seine Tochter und Ferdinand zusammen und verzeiht seinen Widersachern ihre bösen Taten. Gleichzeitig vertraut er sich ihrer Gnade an. Augenblicke lang scheinen die Grenzen zwischen Absicht und Zufall beim Spielen zu verwischen, doch das vermindert den Reiz der Aufführung in keiner Weise.
Die beiden Darsteller (Irene Winter und Wieland Jagodzinski strahlen viel Schönheit aus, Bewegungen und Sprache verzaubern. Die Musik von Frank Herzberg, Mike Hille und Peter Schenderlein unterstreicht, wo Gestik und Mimik nicht Ausdruck genug sind, und rundet Kanten ab.
Man sollte auf keinen Fall den Weg nach Hellersdorf scheuen und sich diese gelungene erste Inszenierung von Peter Koppatsch anschauen. Irene Brie
Nächste Vorstellungen: 19. und 20.6., 20 Uhr im Club j.w.d., Schkeuditzer Str. 3, Berlin-Hellersdorf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen