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Sie saugen nicht nur Blut

„Beiß mich“: Ein Musical im Hamburger Tivoli  ■ Von Niklaus Hablützel

Sind halt auch nur Menschen, die Herren Vampire, und haben so ihre Sorgen. Daß manch ein Dracula schwul war, ahnten wir schon, und es macht ihn erst recht mitmenschlich. Ganz wie im richtigen Leben war dann die Mutter schuld daran. Graf Igor von Greifenstein hat sogar eine besonders böse, er hat sie nicht nur gehabt, er hat sie immer noch, und das seit 446 Jahren. Der gewöhnliche Herr Schmidt wäre mit diesen Verhältnissen wohl etwas überfordert, jener Brillenspießer aus der gleichnamigen Show von der Reeperbahn, den wir alle einigermaßen aus dem Fernsehen kennen. Graf Igor gleicht ihm bis auf die Glatze, aber jetzt sind ihm Beißerchen gewachsen, und er darf den ganzen Abend sehr dämonisch und sehr teuflisch in das schöne, große Tivoli- Theater schauen, das ihm bekanntlich gehört.

So eben, als kleiner Bub und ewig zu klein gebliebener Blutsauger, so erinnert er schon mehr an Corny Littmann, den schwulen Kabarettisten, der zum Theaterunternehmer wurde. Er gleicht ihm mehr als jener Showmaster, der furchtbar nervös wird und richtig ins Schwitzen kommt, wenn er einen richtigen Star für das Fernsehen begrüßen muß.

Nein, kein Gezappel mehr im Fernsehlicht. Vor der so gar nicht unheimlichen Pappkulisse eines Schloßgemäuers darf es gemächlich zwischen die Beine gehen, Spinnweben hängen in der Ecke, und schöne Männer tanzen leicht geschürzt nur für ihn, den großen Kleinen im schwarzen Umhang, mit Stöckelschuhen und jenen Zähnen, die eine Firma Wissner in Hamburg angefertigt hat.

Billig sieht das alles immer noch aus, obwohl das Programmheft eine für deutsches, freies Theater horrende Summe an Produktionskosten nennt. Bis halb zwölf nachts dauert die Show, das Finale ist ziemlich enttäuschend. Zusehen, wie es die schwulen Vampire alle miteinander treiben, das dürfen wir denn doch nicht. Ein großes, rotes Tuch hüllt alle ein, und man muß schon die Fantasie des Grafen Igor besitzen, um im Morgengrauen Anstößiges darunter zu vermuten.

Denken wir uns also, daß schwule Vampire nicht nur Blut saugen. Schon lange ist Corny Littmann nicht mehr so mutig zu seiner zweiten Rollennatur zurückgekehrt. „Ich bin der Biß, der Beißer“, singt er, so gut er das halt kann, und reimt darauf besser als man es je erwarten konnte: „Ich liebe euch alle, ihr kleinen Scheißer.“ Applaus auf offener Szene: So fies will er sein und so lieb zugleich, und will für beides geliebt werden, so sehr, daß der Titelsong seiner neuesten Hausproduktion mit diesem Text zu einer veritablen Bekenntnisnummer gerät.

„Hamburg hat ein neues Musical“, hat der Hausherr auf das Plakat drucken lassen, das einzig ernst zu nehmende an der Reeperbahn, meint er, wo doch sonst seit Jahren nur Cats läuft. Beiß mich heißt es, auch T- Shirts mit diesem Schriftzug sind zu kaufen, und die Premierenpreise kletterten vergangenen Samstag auf die stolze Höhe von 160 D-Mark. So viel Theater braucht der Mann, um das auszuhalten, was er ist, und die ganze Reeperbahn profitiert inzwischen davon. Schon Littmanns Schmidt-Varieté hatte ein wenig Charme in die sonst triste Straße gebracht, das größere Tivoli liefert seit letztem Herbst zeitgemäße Noblesse hinzu.

Schmuddelkinder sind wir ja alle nicht mehr, auch Littmann nicht, nur der schlechte Geschmack ist geblieben. Voller Wehmut nach den schönen Zeiten seines Tuntenchors läßt Littmanns Theater noch einmal in der Schnulze schwelgen, jenem falschen Gefühl, das in der immer noch falschen Welt das immer noch einzig echte ist.

Terry Truck hat ihm die Musik dazu geschrieben, der Pianist jener Georgette Dee, die inzwischen ganz alleine Riesensäle mit ihren Chansons füllt und sich trotzdem zu einem Gastspiel bitten ließ, zu einer Rolle sogar, die ihr wenig Chancen bietet: Sie soll die böse Mutter sein, die im Schloß Greifenstein haust. Ein enorme Königin der Nacht ist sie schon, bloß keine böse, sondern eine traurige. Auf alle Ewigkeit steht sie nun am Abgrund der unglücklichen Liebe, auch noch in Mecklenburg- Vorpommern, wohin nun Touristen strömen nach vierzig Jahren Grabesruhe. Davon kann sie singen mit ihrem wuchtigen Baß, der doch so zerbrechlich klingt. Aber zu der Handlung, die sie in Gang halten soll, gehört ein Eifersuchtsdrama und eben die Mutterrolle, die besonders schwierig zwischen Klischee und Wahrheit changieren muß: Mag sein, daß für manchen Schwulen die Mutter zu groß war und lebenslang Strafangst auslöst, Beiß mich spielt mit dieser Psychologie, läßt sie plausibel erscheinen, um sie dann doch mit Klamauk lächerlich zu machen.

Das ist auch für Littmanns Grafen Igor ein bißchen viel. Der Stoff belastet das Musical eher mit dürftigen Erklärungen, statt es mit Inhalt zu füllen. Viel zu viel ist es für Georgette Dee: Sie braucht eine Stimmung und sonst gar nichts, keinen Sohn und schon gar keinen Mann: Wie soll sie ihn da ansingen können? Aber nicht nur einer, gleich sechs tanzen im Schloß, einer schöner als der andere. Söhnchen Igor hat sie im Laufe der Jahrhunderte gebissen, stockschwul daher, aber wem schadet das schon? Die Chorus Line macht aus dem schwulen Heimatstück ab und zu tatsächlich das Musical, das es sonst nicht wäre. In der Choreographie des schwarzen Amerikaners Melvin L. Lewis vertreiben sechs bestens ausgebildete Entertainer die arg hausbackenen Sorgen der Greifensteins aus dem Saal.

Leider kehren sie immer wieder zurück, Corny Littmann gab sich selbst die Hauptrolle. Das ist schade, und dann doch wieder ganz in Ordnung, denn dieses Musical gehört ins Tivoli, das nur ein wenig größer ist als das schummrige Schmidt nebenan, in den Schmuddel und Fummel, und nicht hinaus in das kalte Leben des Showbusiness, von dem Littmann eigentlich immer nur träumen möchte. Und reden und augenklimpernd kokettieren, wie das sein nunmehr langjähriger Partner Ernie Reinhardt zur Ausschließlichkeit perfektioniert hat. Hier heißt seine Rolle gleich „Gloria Mundi“, aller Ruhm der Welt soll für eine Filmdiva stehen. Sie möchte sich beißen lassen, um unsterblich zu werden, denn selbstverständlich hat sie noch nie einen Film gedreht.

Oder doch? Ein junger Mann restauriert die Ahnengalerie im Dracula-Schloß, er erinnert sich, die schrille Dame im Kino gesehen zu haben. Alles nur Konstruktion, Tagträumerei und Beiwerk, wie die Romanze des Restaurators mit einer Kunststudentin, der Frau, die alsbald in ein Verließ versenkt wird. Den Text, der solches vorsieht, hat übrigens eine Frau geschrieben, die Regie hat jener Claus Vin¿on besorgt, der oft für Littmann und Reinhardt gearbeitet und nie etwas anderes aus den beiden herausgeholt hat, als eben Littmann und Reinhardt.

Vampire leben noch viel länger, sie kuscheln sich im Sarg, frieren nicht mehr und können sich ohne Ende nach der großen Liebe sehnen. Sind halt auch nur Menschen, und so richtig beißen mag sie dann doch keiner. Wahrscheinlich würden sie daran sterben. Und das wäre nun wirklich schade.

Beiß mich! Ich will das Leben spüren. Text: Ruth Wenzl. Regie: Claus Vin¿on. Komposition: Terry Truck. Choreographie: Melvin L. Lewis. Mit Corny Littmann, Ernie Reinhardt, Georgette Dee u.a.: Hamburg, Schmidts Tivoli, bis 5. Juli täglich, außer montags.

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