: Die Frauen, die Lust und die Diskussion
Tabus wurden bei der Offenen Frauenhochschule in Wuppertal kaum gebrochen ■ Aus Wuppertal Diemut Roether
Macht — Sex — Lust: Drei Worte machte die Offene Frauenhochschule in Wuppertal am vergangenen Wochenende zu ihrem Programm. Drei Worte, die sich beliebig kombinieren lassen.
Macht — Sex — Lust? Folgt frau den Analysen der Feministinnen, dürfte ihr die Lust am Sex längst vergangen sein. Jahrelang hat sich die Frauenbewegung in Anti-Porno-Kampagnen und gegen die sexuelle Ausbeutung von Frauen engagiert und benannte die Gewalt gegen Frauen als Grundpfeiler der patriarchalischen Gesellschaft. Die Lust der Frauen hat, dieser Analyse folgend, weniger mit Macht denn mit Ohnmacht zu tun. Wenn eine Frau doch einmal versucht, Lust zu beschreiben, so merkt sie nur allzubald — wie die Schriftstellerin Elfriede Jelinek — daß ihr die Worte fehlen, um darüber zu sprechen.
Sex macht Lust. In manchen Büchern ist dennoch von der Lust am Sex zu lesen. Zwei davon, Der Liebhaber von Marguerite Duras und Salz auf unserer Haut von Benoite Groult, dienten der Sozialwissenschaftlerin Margrit Brückner als Modelle des „weiblichen Begehrens“. Beide Bücher sind für die Soziologin Beispiele, in denen die begehrende Frau als „Königin“, nicht als „Bettlerin“ dargestellt werde. Doch im wirklichen Leben sind dem weiblichen Begehren durch die gesellschaftlichen Rollenvorstellungen noch enge Grenzen gesetzt. Margrit Brückner stellte fest: Frauen wird bestenfalls Liebe zugestanden, keine Lust. Nach wie vor hat die Frau nicht zu begehren, sie wird — vom Mann— begehrt. Frauen müßten sozial und kulturell festgelegte Schranken von Weiblichkeit überwinden, um sich selbst verwirklichen zu können. Hinzu kämen sexuelle Erfahrungen wie Mißbrauch oder Gewalt, die Frauen lehren, daß Sexualität immer mit Gefahr verbunden ist. Ein freies Spiel der erotischen Kräfte, so Brückner, könne so nicht entstehen. Daß der Mann ein Recht auf den Körper der Frau habe, nicht aber umgekehrt, spiegele sich vor allem in der Darstellung von Frauen- und Männerkörpern: Während Frauenkörper öffentlich dargestellt und damit bloßgestellt, also entmystifiziert würden, bleibe der Penis, das zentrale Geschlechtsorgan der patriarchalen Gesellschaft, in der Öffentlichkeit verborgen — ein mystisches Organ.
Die Frau, die Lust und die Frauenhochschule: Bärbel Gebert, eine der Organisatorinnen der vierten Wuppertaler Frauenhochschule hielt das Thema Frauensexualität eigentlich für „eine alte Kiste“. Um so überraschter war sie, daß es in diesem Jahr mehr Frauen denn je nach Wuppertal zog. Tabus wurden dann kaum gebrochen. Typisch vielleicht, daß häufiger darüber gesprochen wurde, was andere Frauen über Lust und das weibliche Begehren geschrieben hatten, als über eigene Gefühle und Erfahrungen.
Sprachverwirrung beherrschte dann die Abschlußdiskussion über Frauensexualität und feministische Moral. Schon auf die Frage, was Sexualität ist, gab es mindestens ebenso viele Antworten wie anwesende Frauen. Die knappste Definition lieferte Barbara Commandeur auf dem Podium: „ein Trieb“. Und die zur Diskussion geladenen Frauen zeigten wenig Lust an einem Gespräch über etwaige vorhandene Moralvorstellungen im Feminimus oder eine neue, noch zu entwickelnde, feministische Ehtik. „Erlaubt ist, was gefällt“, meinte die Transsexuelle Waltraud Schiffels, moralische Verbote und Normen hätten Frauen lange genug das Leben schwer gemacht. Das klinge so einfach wie aus einem Liebesroman, kritisierte die Journalistin Viola Roggenkamp. Doch schwierige Fragen wie die nach der „feministischen Ehtik“ waren auch ihr für eine Podiumsdiskussion am Samstag abend „viel zu mächtig“.
Daß es unter Feministinnen und Lesben tatsächlich Moralvorstellungen gibt, wurde zwar gelegentlich angedeutet, aber machtvoll zerredet. Die lustlose Diskussion entzündete sich weder am „heiligen Gral der lesbischen Sexualität“ noch an dem von Sabine Zurmühl ins Gespräch gebrachten „Dogma der sexuellen Erfüllung“, das da laute: Die Feministin hat ein außerordentlich tolles, buntes, dramatisches, lustvolles sexuelles Leben. So blieb es bei den üblichen schönen Gemeinplätzen: Das „dialektische Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft“ wurde ebenso beschworen wie die Toleranz, und alle Frauen wurden wieder einmal dazu aufgefordert, andere in ihrem Anderssein zu akzeptieren.
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