: Neuer Präsident soll Belgrad retten
■ Serbische Opposition sucht Kompromiß/ Waffenruhe in Sarajevo stabil/ UNO will Flughafen öffnen
Belgrad (ap) — Der zum Präsidenten von Jugoslawien gewählte Dobrica Cosic hat am Dienstag in Belgrad mit der Bildung einer neuen Regierung begonnen. Sie stellt offenbar einen Kompromiß zwischen der Opposition und der serbischen Regierung dar. Der Waffenstillstand in Sarajevo scheint zu halten.
Der 71jährige oppositionelle Schriftsteller Cosic hatte in seiner Antrittsrede am Montag die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, Neuwahlen und eine „Politik des demokratischen Kompromisses“ versprochen. Oberste Ziele seien die Wiederherstellung des Friedens und die Aussöhnung mit anderen Ländern, darunter auch den USA.
Nach der Wahl von Cosic ist die serbische Opposition, die den Rücktritt des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic fordert, offensichtlich gespalten. Während sich mehrere tausend Studenten zur Bekräftigung der Rücktrittsforderung in den Universitäten verbarrikadierten, setzte die oppositionelle Dachorganisation „Demokratische Bewegung Serbiens“ (DEPOS) eine für den 21.Juni geplante Großdemonstration aus. Damit hat die Opposition dem bedrängten Präsidenten Slobodan Milosevic ein unerwartetes Zugeständnis gemacht, sie erwägt jetzt sogar eine Beteiligung an einer „Regierung der nationalen Rettung“.
Möglich wurde dieser radikale Schwenk durch die Wahl des serbischen Schriftstellers und Nationalisten Dobrica Cosic zum ersten Staatschef in Rest-Jugoslawien. Cosic hatte sofort die Bildung einer Koalitionsregierung unter Mitwirkung der Opposition angekündigt. Die Opposition will auf diesem Wege offenbar die mit zwei Dritteln alleinregierenden Sozialisten von der Macht ablösen. Die große Frage bleibt jedoch, ob die Sozialisten und ihre Ziehkinder, die nationalistischen Radikalen, zur Teilung der Macht oder sogar zur friedlichen Abgabe von Macht bereit sind.
Die sich abzeichnende Zusammenarbeit von Milosevic mit seinen Kritikern kommt nicht aus heiterem Himmel. Denn viele der Depos-Vertreter waren bisher wichtige Stützen der nationalen Politik von Milosevic. Eine große Zahl von Depos-Mitgliedern vertreten sogar ein noch radikaleres großserbisches Programm als der Republikspräsident.
Die rund 300.000 verbliebenen Bewohner von Sarajevo erlebten nach Meldungen des kroatischen Rundfunks die ruhigste Nacht seit Beginn des Krieges vor zweieinhalb Monaten. Außer Schüssen aus leichten Waffen war kein Kampflärm mehr zu hören. Die Hauptstraße war nach Augenzeugenberichten wieder voller Menschen, die wegen des serbischen Trommelfeuers zwei Wochen nicht aus den Schutzkellern gekommen waren. Am Montag hatte gelegentliches Artilleriefeuer den Waffenstillstand noch durchbrochen, ein 16jähriger wurde nach Angaben von Bewohnern von Heckenschützen erschossen.
Die Experten der UN-Friedenstruppe für Jugoslawien (UNPROFOR) wollten unterdessen den zweiten Tag des Waffenstillstands nutzen, um ihre Inspektion des von Serben belagerten Flughafens von Sarajevo fortzusetzen. Aus diplomatischen UN-Kreisen verlautete, daß mit der Öffnung des Flughafens frühestens Mitte nächster Woche gerechnet werde.
Der Leiter der UN-Friedenstruppen (UNPROFOR) in Sarajevo, General Lewis McKenzie, hatte am Montag die Hoffnung geäußert, daß ein Abkommen über den Abzug der schweren Artillerie noch in dieser Woche zustande kommen werde. Auch UN-Generalsekretär Butros Ghali machte die Flughafenöffnung von diesem Abkommen abhängig. In einem Bericht des UN-Generalsekretärs, der am Dienstag im Sicherheitsrat in New York diskutiert werden sollte, wies Ghali darauf hin, daß die serbischen und kroatischen Einheiten in Bosnien-Herzegowina von Belgrad beziehungsweise Zagreb unterstützt werden. Auch die angeblich entwaffneten Einheiten besäßen weiterhin Waffen, erklärte Ghali weiterhin.
Das Papier des UNO-Generalsekretärs kritisiert Serben und Kroaten gleichermaßen wegen der Vertreibung der Zivilbevölkerung in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Außerdem übte Ghali Kritik am bosnischen Präsidenten Alija Izetbegovic, der sich weigere, sich mit Vertretern der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) an einen Tisch zu setzen.
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