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Herbert Mies: Sozialismus ist sein Leben

Bitter enttäuscht über den Zusammenbruch des Sozialismus, macht der langjährige Vorsitzende der DKP jetzt Basisarbeit in Mannheim  ■ Aus Essen Walter Jakobs

Von den Wänden des Versammlungsraumes in der Essener Hoffnungsstraße Nr. 18 schauen uns Karl Marx, Wladimir I. Lenin und Ernst Thälmann über die Schulter. In dieser Gesellschaft illustrer Ahnen, die in der neuen Essener Parteizentrale der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) gleichsam historische Wurzeln und zukünftige Orientierung symbolisieren, fühlt sich der 63jährige Herbert Mies auch 1992 noch wohl. Die leuchtendblauen Augen des Mannes, der bis 1990 als Chef der DKP amtierte, wirken unruhig. Leicht fällt ihm das Gespräch nicht. Der ehemals eher bullige Parteichef wirkt schmächtiger als auf den alten Fotos. Vielleicht Folgen des Herzinfarktes, der Ende 1989 seinen vorübergehenden Abtritt von der politischen Bühne erzwang. Eine Herzattacke als unmittelbare Folge der realsozialistischen Pleite? „Nein“, wehrt Herbert Mies diesen Gedanken ab, „ich habe mit meinen 107 Kilo die Warnungen der Ärzte einfach zu lange ignoriert.“ 1990 folgte dann der von ihm als „geplanter Generationenwechsel“ bezeichnete Rücktritt, und seither findet sich das „einfache Parteimitglied“ nur noch sporadisch in der Führungszentrale der Partei ein. 17 Jahre sorgte Mies als Vorsitzender für die Einhaltung der korrekten Linie — immer ganz nah bei den realsozialistischen Bruderparteien. Den um Erneuerung der DKP kämpfenden parteiinternen Dissidenten galt Mies als „beinharter Betonkopf“, als ein „ Opportunist“, der kompromißlos jeden politischen Winkelzug der die DKP alimentierenden Genossen in Ost-Berlin verteidigte. Inzwischen bekommt dieses Bild Risse. Die Millionen aus Ost- Berlin fließen schon lange nicht mehr, die Erneuerer sind längst in alle Winde zerstreut, nur der „Opportunist“ Mies, der ist immer noch da, wo er sein Leben lang wirkte. „Ich mache jetzt das, was ich mir schon immer vorgenommen hatte: DKP-Basisarbeit in einem Arbeiterstadtteil von Mannheim.“

Gründe, nach dem Zusammenbruch des realsozialistischen Blocks im Büßerhemd herumzulaufen, sieht der ehemalige Parteichef für sich persönlich nicht. „Ich mache mir zwar den Vorwurf, bestimmte Fragen aus der parteiinternen Diskussion verbannt zu haben“, aber „ich hätte mich aus meiner inneren Überzeugung heraus nie zum Kronzeugen gegen die sozialistischen Länder machen lassen können“. So stellte er sich denn auch „in jeder Hinsicht verteidigend vor die DDR und die Sowjetunion“, ganz gleich ob es die Ausbürgerung von Wolf Biermann oder den Einmarsch in die Tschechoslowakei zu rechtfertigen galt. Im selben Atemzug fügt er hinzu, „nie Verbrechen verteidigt zu haben“. Immer die „große weltweite Auseinandersetzung zwischen dem sozialistischen und dem imperialistischen System vor Augen“, reihte sich Mies wieder und wieder widerspruchslos bei den großen Vorbildern im Osten ein. Daß sich daraus „sehr viele aggressive und auch verletzende Zurückweisungen von Kritikern der sozialistischen Länder ergaben“, bedauert er heute. Die Ausschaltung der offenen innerparteilichen Debatte im Westen, die Verfolgung Andersdenkender im kommunistischen Machtbereich, all das wertet Mies inzwischen als „Fehlentwicklungen“, als „Entartungen unserer Vorstellungen von Demokratie“, die der kommunistischen Sache eigentlich wesensfremd seien. Am marxistisch-leninistischen Organisationsmodell, an den „Leninschen Vorstellungen von einer revolutionären kommunistischen Partei“, hält der Altkommunist fest. Der Kapitalismus „ist nicht zu zähmen, nicht zu bändigen“, und die „sozialistischen Ziele sind nicht durch Transformation zu erreichen, sondern nur durch einen von den Massen, von der Mehrheit getragenen revolutionären Bruch“. Um dafür den Boden zu bereiten, arbeitet der 63jährige weiter in der DKP. Von den einst 50.000 Mitgliedern sind heute noch rund 8.000 GenossInnen dabei. Mies möchte dem „sozialistischen Ideal zu einer neuen Glaubwürdigkeit und auf längere Sicht auch zu neuer Anziehungskraft verhelfen, denn die Idee als solche ist ja nicht schlecht, und sie hat auch nicht bankrott gemacht“. Zwar gibt es Andeutungen, daß der „Monopolanspruch“ kommunistischer Parteien „nie hätte verfochten werden dürfen“, doch er findet kaum Worte dafür, wie ein solcher Verzicht mit dem Anspruch auf den revolutionären Bruch und der darauf folgenden Notwendigkeit zur Machtsicherung in Einklang zu bringen ist. Es scheint, als seien ihm die Freudentänze der von ihm immer beschworenen „Massen“ über das Ende der kommunistischen Diktatur bis heute fremd geblieben. „Bitter enttäuscht über den Zusammenbruch des Sozialismus“, der „größten Erschütterung in meinem Leben“, weigert er sich, „den Kopf in den Sand zu stecken“. Dem Rückzug einstiger GenossInnen in das Privatleben will er sich nicht anschließen. „Früher hätte ich auch persönlich über sie den Stab gebrochen. Das mache ich heute nicht mehr.“ Zu seinen persönlichen Fehlleistungen zählt der immer noch vom Marxismus-Leninismus beseelte Mies, „daß ich eine Reihe von theoretisch unhaltbaren Thesen mitgetragen habe, wie die, daß die Entwicklung des Sozialismus unaufhaltsam nur nach vorne geht“.

Wie sich das einst anhörte, kann man in einem 1986 vom DKP-Parteivorstand herausgegebenen Buch über Honecker lesen. Im Vorwort schreibt Herbert Mies: „Im sozialistischen deutschen Staat existiert die Einheit von Wissenschafts- und Sozialpolitik. Dort wird die wissenschaftlich-technische Revolution zum Segen des Volkes gemeistert. Dort gibt es Vollbeschäftigung, und die Wohnungsfrage wird als soziales Problem gelöst. Dort hat die Jugend eine gesicherte Perspektive. Dort entwickelt sich eine Gesellschaft nach dem Solidarprinzip. Dort ist das Bewußtsein tief im Volk verwurzelt, Solidarität mit denen zu üben, die um ihre Freiheit und Unabhängigkeit kämpfen.“

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