: Auswandern mit Zeit-Geist
■ Bremen und seine Unternehmer zeigen „Aufbruch in die Fremde“ — eine Ausstellung
Es kostet 1,2 Millionen Mark, will Gutes tun für Stadt und Land, Bremens Sommergäste unterhalten und heißt in der Sprache des Infotainment-Heinis „begehbares Dokudrama“: „Aufbruch in die Fremde — Europäische Auswanderung in die USA über Bremen und Bremerhaven“ ist eine Ausstellung, die uns für die Sommerferien ins Haus steht.
Ach was, Ausstellung! Was einem da in der Unteren Rathaushalle gegen 5 Mark Eintritt widerfahren wird, stellte der Chef der Senatskanzlei, Andreas Fuchs, gestern der Presse vor. Wo man andernorts Schautafeln studiert, wird hier das „Abenteuer Auswanderung zum Erlebnis“: JedeR BesucherIn (ab 10 Jahre) erlebt ihr/sein eigenes Drama. Der schnurlose, infrarot gesteuerte Kopfhörer macht's möglich.
Der, an der Kasse ausgehändigt, macht den jeweils richtigen Ton zu jedem der 15 „Erlebnisräume“, die der „Ausstellungsarchitekt“ Uwe Thill auf den 500 qm Rathaushalle aufgebaut hat. Jeder Raum eine Station auf dem Weg der fiktiven Auswanderer Johann Möller aus Hessen und Jadwiga Bachleda aus Polen. In der Agentur, auf dem Weserkahn, in der Auswandererhütte, auf dem Zwischendeck, auf Ellis Island / New York, der Farm in Wisconsin, in der Industriemetropole Chicago.
Geschichte, lebendig gemacht: dafür gibt es zum Identifizieren bekannte Schauspieler per Video, die den Weg der Auswanderer erlebbar machen: Michael Kausch als Johann Möller ist von „Liebling Kreuzberg“ TV-Guckern bekannt, und Anna Nowak spielt schon in der Lindenstraße eine junge Polin. Ein „Zeit-Geist“ stellt die historischen Zusammenhänge her.
150 Großfotos, 23 lebensnahe Figuren, acht Videos, sechs Hörspiele: multimediales Geplätscher wird uns umspülen, wir werden ohne Mühe schlau. 55 Minuten veranschlagt die Initiatorin und Organisatorin Concerto Culture-Marketing für den Rundgang. Wissenschaftlich ist alles bestens abgefedert: Das Labor Migration Project der Bremer Uni unter Diethelm Knauf hat die Chance ergriffen, mit ein paar Vorurteilen aufzuräumen — die Auswanderer reisten nicht alle im Planwagen durch endloses Grün, viel mehr lebten elend als industrielle Rekrutiermasse. Und: Migration gab's immer schon, Analogien zu Süd-Nord- und Ost- West-Wanderbewegungen sind da. Belehrungen allerdings sind out, doch „beim mündigen Bürger wird's funken!“ (Fuchs)
Die eine Hälfte des Millionenetats stammt von hiesigen Unternehmen, deren Signets sich auch so aufdringlich wie selten ins Werbematerial der Schau drängen. Die andere Hälfte kommt aus den Töpfen Wirtschaft, Häfen und Bremenwerbung. Für einen Bremen-Day wird „Aufbruch in die Fremde“ im August in die USA verschickt. Und findet so ihren eigentlichen Sinn: Imagewerbung. Ein besseres als das jetztige Image findest du überall. Und sei es als Auswandererstadt. Bus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen