: ZURÜCK ZUR NEUEN EINFACHHEIT? Von Karl Anton & Vororth
A trend is born, und bevor hinterher wieder kein Schwein hingeguckt hat, möchten wir rechtzeitig und deutlich darauf hingewiesen haben: Ab sofort hat kulinarisches Raffinement keine Gültigkeit mehr. Übergangslos tritt dafür in Kraft: die „Neue Einfachheit“.
Vom 'Time‘-Magazin im April vergangenen Jahres in den USA ausgemacht, zwei Monate später von 'Psychologie heute‘ als „Neue Bescheidenheit“ auch in der Bundesrepublik entdeckt, wegen mangelnder Konsumentenschlüpfrigkeit gleich darauf verschwunden, taucht sie jetzt geliftet als „Neue Schlichtheit“ wieder auf.
Nunmehr ist, der 'Feinschmecker‘ ließ es uns wissen, unwiderruflich die Ära der kulinarischen Bescheidung eingeläutet. Simplicité! Des Zeitgeists Winde haben gedreht, 1992 wird in die Geschichte eingehen als das Jahr der Rückkehr des großen Schweinebraten auf den Tisch der zeitbewußten guten Stube.
Problematisch irgendwie. Da hatten wir uns gerade zwischen Loup und Lotte einigermaßen eingerichtet, es uns an Stachelbeersoße und Julienne von Wurzelgemüse gemütlich gemacht, waren mit Jakobsmuscheln und Entenbrüstchen lauwarm geworden.
Schluß, heißt es nun plötzlich, mit all dem Brimborium. Alle Fünf-Gänge-Menüs sind abgeblasen. Zuviel Steinbutt tut niemand gutt.
Abgesetzt, sagt man uns, seien die feinen Zünglein, von zuviel Wachtel, Dorade und getrüffeltem Huhn. Man langweile sich hinten am Zimtparfait, auch das Brieslein wolle nicht mehr recht munden.
Zurück zu den Ursprüngen hätten wir jetzt zu finden, zu Waldbauernbubens Brotzeit, dem frischen Trunk aus plätschernder Quelle. Kalbsfuß und Maultaschen kommen zu Ehren, der Schweinskopf gilt wieder was im Land.
Und so liest sie sich, die Speisekarte der neuen Einfachheit: Der Käse. Die Bohnen. Der Wein. Würrrzig das Brot. Die Kartoffel. Alles, versteht sich, von luxuriösester Natürlichkeit. Einfach, aber bloß nicht billig. Man gönne sich ja sonst nichts, heißt es. Aber das wollen wir erst mal sehen.
Geht jetzt ein Aufatmen um deutsche Herde? Nun, wo wieder handfest geschmurgelt wird im eisernen Bräter, wo der Koch Floristikkurs und Poetikseminar stornieren darf und auch Bratkartoffel-Peter seine kulinarsche Chance erhält?
Nein, es ist nicht alles gut. Im Überbau rumort es noch gewaltig, der Wechsel aus dem Stand warf manchen weißberockten Würdenträger aus der Bahn und läßt ihn orientierungslos zwischen Sauteuse und Spitzsieb hin und her geistern. Denn daß einer eine pfundige Schweinskopfsülze hinkriegt und die Erbsensuppe nicht anbrennen läßt, genügt nicht. Die Sinnfrage ist gestellt und schwebt zwischen Fettschwaden über den Edelstahltheken. Kochen lappt neuerdings stark ins Sinnhafte über. Die Neue Schlichtheit fordert den ganzen Meister, sie will alles, und das so: „Rückbesinnung auf alte Tugenden wie Ehrlichkeit, Treue, Heimat.“ Will sagen: Blutwurst im Loden auf deutsch-deutschem Boden. Ganz schlicht.
Nun ja. Mögen Feinschmeckers auf Anraten ihres bayerischen Guru Schuhbeck neuerdings zur Fleischwurst greifen. Wir Barbaren, wir lassen uns nicht so schnell auf Urgestein und Alpenwiesen jagen. Uns bringen Sie bitte, Herr Ober, den sautierten Lachs in Safransoße. Champagner dazu. Wie bitte? Von der Witwe. Die Magnum-bottle.
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