: Erst die Leere macht Platz
Einblick in die Geschichte des Potsdamer Platzes ■ Von Martin Kieren
Alle Welt spricht über ihn. Alle schauen auf ihn. Viele schreiben über ihn. Aber es gibt ihn gar nicht mehr — den Potsdamer Platz. Ebensowenig den Leipziger Platz, diesen eigentlichen Platz auf diesem Grund, der diese Bezeichnung überhaupt verdiente. Als Achteck im 18.Jahrhundert angelegt, war er — bis zur völligen Zerstörung und Unkenntlichmachung durch Krieg, Nachkriegswirren und die Teilung der Stadt — (neben dem Pariser Platz und dem Belle-Alliance-Platz) der barocke Stadtplatz schlechthin in Berlin. Eigenartigerweise aber fällt der Name „Potsdamer Platz“ häufiger als die Namen dieses Dreigestirns barocker Stadtbaukunst, wobei ja keiner dieser Plätze mehr Zeugnis ablegt über die baukünstlerischen Ideen und Leistungen jener Zeit.
Aus, kaputt, vorbei. Der Belle- Alliance-Platz heißt heute Mehringplatz und ist eine hilflos hindümpelnde Idylle zwischen Halleschem Tor und Friedrichstraße. Der Pariser Platz soll in alter Form (die Platzrandbebauung betreffend) wiedererstehen und wird — als Platz — eigentlich nur noch erwähnt im Zusammenhang mit den Geschehnissen der Um- beziehungsweise Durchfahrt des Brandenburger Tores. Der Leipziger Platz hingegen war Schauplatz eines städtebaulichen Wettbewerbs mit dem Ergebnis einer zweifelhaften Rekonstruktion der alten Platzfigur. Das Terrain drumherum zeichnet sich aus durch perfides Immobiliengeschacher diverser Konzerne — initiiert, geduldet und vollbracht von unseren bürgerlichen Parteien, als Paket auch „Senat“ genannt.
Bleibt also der Potsdamer Platz. Er ist eigentlich nichts anderes als der Ort des Zusammentreffens vieler auf den Leipziger Platz zustrebender Straßen: Ebertstraße, Bellevuestraße, Postdamer Straße, Linkstraße, Königgrätzer Straße, Leipziger Straße und das städtebauliche Verkehrsungetüm des Potsdamer Bahnhofs. Als Nadelöhr hat dieses amorphe Gebilde, diese Un-Figur denn auch Karriere gemacht. Der Mythos des verkehrsreichsten Platzes Europas rangiert dabei an erster Stelle, wenn über diesen Ort geredet, verhandelt und geschrieben wird. Und am Verkehr wird er, wenn sich die Klügsten nicht etwas ganz Pfiffiges einfallen lassen, wieder ersticken.
Was dann bleibt? Die Erinnerung an einen Ort, der einmal Potsdamer Platz hieß. Erinnerungshilfe könnte das gleichnamige Buch leisten — eine „Geschichte in Wort und Bild“, wie es im Untertitel heißt, die jetzt im Verlag Dirk Nishen erschienen ist. Dieses Buch erinnert als Unternehmen ein wenig an das seinerzeit sehr schöne und eigenwillige Ausstellungskonzept (mit Katalogbuch) von Janos Frecot und Helmut Geisert in der Berlinischen Galerie: Berlin im Abriß — Beispiel Potsdamer Platz. Beide Unternehmen nämlich leben vom Mythos dieses speziellen Ortes (an dem diese Bücher natürlich nicht nur teilhaben, sondern den sie gleichsam mitbegründen und auch weitertreiben) und der zunehmenden Lust der Menschen, sich mit der Geschichte dieses in der politischen Geschichte bedeutsamen Grenzbereiches zwischen ehem. Ost und ehem. West auseinanderzusetzen.
Über diese historische Irrfahrt, so sie die Strände und Ränder dieses Ortes „Potsdamer Platz“ berührt hat, klärt das Buch auf angenehm unterhaltsame Weise in seinem einleitenden Text (von Horst Mauter) auf, wobei Geschichten von Häusern und Menschen ebenso erzählt werden wie die Entwicklung des Verkehrs beschrieben und das Treiben im Preußischen Herrenhaus geschildert wird. Begleitet wird dieses Erzählen von einem illustren Bilderbogen aus Karten, Zeichnungen, Postkarten und ausgezeichnet wiedergegebenen Fotografien.
Beigegeben ist dem Buch ein etwas melancholischer Text von László F. Földenyi, der sein Herausschreiten aus der Staatsbibliothek und das, was er dabei sieht und denkt, vielleicht doch etwas zu ernst nimmt; und ein Text von Ulrich Pfeiffer, der das politische und das Immobilien- Gerangel um den Potsdamer Platz nur zum Anlaß für weiterreichende Betrachtungen zum wirtschaftlichen Wachstum und Regierungssitz Berlins nimmt. Das Buch schließt mit einem Beitrag von Alfred Kernd'l über die Spurensicherung der Bunker unter der ehemaligen Reichskanzlei in der Voßstraße mit den soldatisch- deutschen Themen-Fresken aus der Kriegszeit.
Der Potsdamer Platz. Eine Geschichte in Wort und Bild. Mit Textbeiträgen von Horst Mauter, László F. Földenyi, Ulrich Pfeiffer und Alfred Kernd'l. 156Seiten, 139 Duplex- und 21 Farbabbildungen, Fadenheftung, gebunden mit Schutzumschlag. Verlag Dirk Nishen, Berlin 1992, 48DM.
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