: 101 Minuten mit der 1
■ Die Bremer Straßenbahnlinie 1 hat Geburtstag: 25 Jahre alt! Einmal Arsten — Osterholz
Bing bong — Arsten West, die Linie endet hier. Einmal die Dame vom Band ignorieren! Die Gleisschleife quietschend weiterfahren, was fast so schön ist wie mit dem Paternoster durch den Keller zu rumpeln. Gestern durfte ich mal: die Straßenbahn Linie 1 hatte Geburtstag. 25 Jahre lang klingelt sie sich schon durchs Bremer Verkehrsgewühl, am 18.Juni 1967 ging der erste Bauabschnitt der neuen Linie 1 bis Blockdieck in Betrieb. Ein gutes Jahr später erfolgte der Anschluß von Osterholz, die Verlängerung nach Arsten 1973.
Eine Stunde und eine Minute: für 2,50 Mark quer durch Bremen. Heute fällt nach Wochen der erste Regen. Da klingelt die Kasse. Dabei hat die Linie 1 sowieso schon das munterste „Kassengeschäft“. Sie ist unter Kollegen wegen des vielen Geldzählens nicht so beliebt. Interner Spitzenreiter: Buslinie 20 Horn-Nedderland. Andererseits ist die Strecke von Arsten nach Osterholz „ruhig, einfach und bequem zu fahren,“ wie Waldemar Schewa (37), der Mann am Fahrschalter, erklärt. In Blockdieck wie auch hier in Kattenturm gibt es zudem bahneigene Gleiskörper, wo man mit 62 Sachen brettern und verlorene Minuten aufholen darf - bei höherer Geschwindigkeit fliegt der rote „Hauptschutz“ raus.
Huckelriede. Hier füllt sich die Bahn. Zur Mittagszeit steigen Lehrlinge ein, alte Damen mit Tüten und weiß gepünktelten Regenhauben. Huckelriede ist seit der Entführung bundesweit bekannt. Schewa, der damals Dienst hatte, erinnert sich an die ersten hektischen Mitteilungen über Funk, als der Bus gekapert wurde. Und die absolute Funkstille danach. Wurde schonmal eine Bahn entführt? Schewa lacht, erinnert sich aber an einen Fall, als ein Zug der Linie 1 plötzlich in Osterholz stand. „Da hatte sich wohl ein Fahrgast ausgekannt.“
Der Buntentorsteinweg: ein Nadelöhr. Hier torkeln schonmal Trunkene aus einem Hauseingang direkt aufs Gleis. Dann heißt es notbremesen: elektrische Bremse plus Schienenbremse plus Sand. Auf einem freien Stück demonstriert mir Schewa, was der erste Regen aus den Gleisen macht — wie schmiergeseift schliddert die Bahn beim Bremsen weiter. Da hilft nur Sand, mittels eines Hebelchens gestreut. Unterdessen geht es mit Karacho und lingelingeling über die Wilhelm-Kaisen Brücke in die City.
Domsheide, Schüsselkorb: hier werden die Passagiere fast komplett ausgetauscht. Tüten von Horten, Regenhauben und Schulranzen füllen die 1. Eine ruppige Bremsung an der Rembertistraße: Der Feind steht wie fast immer rechts und heißt „Linksabbieger“. Die FahrerInnen der 1, die zum Betriebshof 34 an der Kurt Huber-Straße gehören, kennen allerdings die neuralgische Ecken. In der Regel fahren sie seit Jahren auf derselben Strecke.
Klack-klack, klack-klack: Die Baustelle am Joseph-Stift. Asphalt klebt an den Rädern. Doch weder Teer noch die Groschen der Kinder, die an der Domsheide plattgefahren werden, bringen eine Straßenbahn aus der Ruhe. Gefährlicher war es für einen Kollegen, dem Jugendliche an der Robert-Koch-Straße Betonplatten in den Weg gelegt hatten. Da wäre die 1 beinahe entgleist.
Berliner Freiheit — Wochenmarkt. Polinnen mit vielen Plastiktüten steigen ein. Durch jede Menge Grün jagt die Bahn mit Höchstgeschwindigkeit nach Blockdieck. Hier sind die Häuser siebenstöckig und die Haltestellen Grafitti-übersät. Spiegelt sich die Sozialkonflikt-Dichte im Straßenbahngeschehen? „Wenn mal ein Streit ist, geh' ich dahin und rede mit denen,“ sagt Schewa. Polizei braucht er selten; hin und wieder hat er mal an der Endstation einen Schläfer: „Den weck' ich ganz sanft auf.“
Bing bong — Züricher Straße, die Linie endet hier — bong, bong, bong. Waldemar Schewa hat hier diesmal keine Pause. Er hat mindestens sechs Minuten verloren. Wo? „Beim Sprechen mit Ihnen! Ich bin zu locker gefahren. Das ist der Streß — man muß immer volle Power fahren.“ Bus
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