: Hannoveraner Schreibtisch-Piraten
Wie aus einem Entwurf der CDU für ein Transplantationsgesetz nach dem Regierungswechsel in Niedersachsen fast im Handumdrehen ein Gesetzentwurf der SPD wurde: des Rätsels Lösung ■ Von Gisela Wuttke
Wer schon einmal den Schreibtisch eines anderen übernahm, weiß um die Situation. Man zieht sich den Drehstuhl heran, stellt ihn auf die richtige Höhe ein und schaut sodann nach, was der Vorgänger — aus Eile oder aus Nachlässigkeit — im Schreibtisch vergaß. So verhält es sich natürlich auch mit Arbeitsplätzen, die Politik machen, will sagen, die durch Wahlen erworben und — was hierzulande seltener vorkommt — auch wieder verloren werden können. Wer Glück hat, findet gar einen ganz und gar fertigen Gesetzentwurf, mit dem sich dann gar trefflich ein überraschschender Break- Point herausschlagen läßt.
So — oder so ähnlich — muß es sich auch in Niedersachsen abgespielt haben. Dort trat nämlich zu Beginn dieses Jahres der Gesundheitsepxerte der SPD-Landtagsfraktion, Harald Groth, mit einem Entwurf für ein Transplantationsgesetz auf den Plan, der, wie die taz sich wunderte, „bis auf acht Worte“ identisch sein sollte mit dem, den die Arbeitsgemeinschaft der deutschen Transplantationszentren e.V. den Justiz- und GesundheitsministerInnen von Bund und Ländern schon im Mai 1991 zukommen ließ (taz vom 9.Januar 1992). Das Rätsel von Hannover, wohl gehütet und beschützt, kann für die geneigten LeserInnen mit Schreiben vom 13.Mai 1992 als gelöst gelten: Es stimmt. Gar keine Frage. Der Entwurf der SPD ist kein Entwurf der SPD, und das kam so...
„Der von der SPD-Fraktion vorgelegte Entwurf stimmt bis auf geringfügige, eher stilistische Abweichungen mit dem von der Deutschen Stiftung Organtransplantation vorgelegten Entwurf eines Transplantationsgesetzes überein. Dieser letzte Entwurf ist 1989/90 im MWK [Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Niedersachsen, G.W.] von Vertretern der Arbeitsgemeischaft [...] und der Deutschen Stiftung [...] unter Beratung des damaligen Staatssekretärs im MWK, Prof.Schreiber, dessen Göttinger Mitarbeiterin, Frau Dr.Wolfslast, sowie dem Unterzeichner erarbeitet worden. [...] Für die inhaltlich-medizinische Seite ist vor allem Prof.Pichlmayr, MHH [Medizinische Hochschule Hannover, G.W.] verantwortlich. Von seiten der SPD-Fraktion ist bei der Vorlage des Entwurfs auf diese Entstehungsgeschichte überhaupt nicht eingegangen worden, andererseits können die wortwörtlichen Übereinstimmungen auch kein Zufall sein...“
Diese präzisierenden Auskünfte sind einem kommentierenden Schreiben an die Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Helga Schuchardt, SPD, zu entnehmen, das zu ihrem Redeentwurf für den von der SPD-Fraktion veranstalteten Kongreß „Grenzen und Möglichkeiten der Organtransplantation“ Stellung nimmt. Der unterzeichnende Ministerialrat ihres Hauses, dessen Name nichts zur Sache tut, schlägt Frau Ministerin darum vor, „die Entstehungsgeschichte durchaus positiv darzustellen und den Ursprung des Entwurfs eher zu verdeutlichen als zu verschweigen“, eine Bitte, der auf dem Kongreß durchaus nicht entsprochen wurde.
Na also. Warum nicht gleich so? Die SPD im niedersächsischen Landtag legt also der Öffentlichkeit im Januar 1992 einen Entwurf vor, den der CDU-Staatssekretär Schreiber unter der Flagge der damaligen CDU-Landesregierung um die Jahreswende 1989/90 auf Sand gesetzt hatte, weil diese alsbald das sinkende Schiff verlassen mußte, um die Kommandobrücke für den Sozialdemokraten Schröder zu räumen. Auch wenn die InitiatorInnen, wie vermerkt wird, „wohl eher daran gedacht hatten, eine konservativ ausgerichtete Bundes- und Landesregierung bzw. -partei zu gewinnen“, begrüßt der Ministerialrat „es sehr, daß die SPD-Landtagsfraktion nunmehr einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der bis auf wenige Formulierungen mit dem im MKW erarbeiteten Entwurf übereinstimmt“. Dies ist feinsinnig gedacht, doch hätte auf den sozialdemokratischen Klotz auch ein gröberer Keil gepaßt. So lesen wir in einem Schreiben der Arbeitsgemeinschaft vom 16.Januar 1992, daß auch der hauseigene Entwurf auf besagten CDU-Staatssekretär, nun a.D., Hans-Ludwig Schreiber zurückgehe. Mit Schreiber, so schien es eine Weile, hatte die Arbeitsgemeinschaft einen wichtigen Schreibtischmann verloren. Mit Harald Groth ist nun der Maat gefunden, der den schon verloren geglaubten Entwurf wieder an Deck brachte.
Abgesehen davon, daß die SPD- Fraktion des Landes Niedersachsen ohne jede Scham einen Entwurf aus alten CDU-Tagen unter eigenem Label veröffentlicht, tritt damit „eine erschreckende politische Naivität“ zutage, weil eben nicht übersehen werden darf, daß sich mit diesem Entwurf ein Interessenverband, nämlich die Arbeitsgemeinschaft der Transplantationszentren, geradewegs selbst legitimiert. Das ist in etwa so, „als würde die Formulierung des Kriegswaffenkontrollgesetzes der Rüstungsindustrie überlassen“, sagt dazu der Dortmunder Sozialethiker Hans Grewel.
Auf dem Kongreß, als Anhörung angekündigt, ging es denn auch keineswegs darum, den offenkundig gewordenen Beratungsbedarf zu organisieren. Vielmehr waren die Podien ausschließlich durch jene besetzt, die an dem Entwurf der SPD, pardon, der Arbeitsgemeinschaft, mitgewirkt hatten.
Gänzlich unverdrossen halten der SPD-Gesundheitsexperte Groth und GenossInnen an ihrem Vorhaben fest. Merkwürdig zudem, daß sie den als „Informationslösung“ in die Debatte eingebrachten Entwurf in einer Ankündigung als „Widerspruchslösung“ erklären, da dieser vorsehe, „daß Organe von Verstorbenen grundsätzlich immer dann entnommen werden dürfen, wenn sie zu Lebzeiten einem solchen Eingriff nicht ausdrücklich widersprochen haben“, obwohl im Entwurf doch schwarz auf weiß nachzulesen ist, daß eine Organentnahme dann erlaubt sein soll, wenn „der Verstorbene zu Lebzeiten eingewilligt hat“.
Tatsächlich ist — so oder so — angestrebt, die Transplantationsfrequenz zu erhöhen. Wehe, jemand stimmt nicht zu, schwört die nächsten Angehörigen nicht darauf ein, ihre Zustimmung zur Organentnahme zu verweigern und hofft gar darauf, daß der zuständige Amtsrichter im Zweifel für den Verstorbenen entscheidet. Er würde seine Organe, ginge es nach der SPD, auf dem Altar medizinischen Allmachtsstreben verloren wissen. Jedenfalls in Niedersachsen.
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