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Teufelsmacht

Mit einer neuen Bühnenfassung von Bulgakows „Der Meister und Margarita“ verabschiedet sich Hansjörg Utzerath aus Nürnberg  ■ Von Reimar Brahms

Von der Oktoberrevolution bis zu Glasnost läßt sich die sowjetische Literatur in drei Gruppen einteilen; es gab die staatlich geförderte, die so gerade noch geduldete und die offiziell gar nicht vorhandene Literatur. Nachdem der Schriftsteller Michail Bulgakow in seiner literarischen Anfangszeit noch den ersten beiden Gruppen zugerechnet werden konnte, geriet er rasch in die offizielle Schweigezone, so daß bis zu seinem Tode 1940 und noch weit darüber hinaus so gut wie kein Werk von ihm in den Druck gelangte. Sein Hauptwerk, der Roman Der Meister und Margarita, an dem er über ein Jahrzehnt schrieb, wurde erst 27 Jahre nach seinem Tode stark gekürzt und 1973 dann vollständig veröffentlicht. Die materielle und seelische Not, der der Schriftsteller durch die fehlende Resonanz ausgesetzt war, hat sich in seinem opus magnum nachhaltig niedergeschlagen: ein von biographischen Anlehnungen wimmelndes und seine Gegenwart durch und durch allegorisierendes Werk, ein Schlüsselroman, der Satire und philosophische Betrachtung, Gesellschaftskritik und ästhetisch-politische Reflektion in einem bietet.

Den monumentalen Stoff, in dem Köpfe rollen, Hexen durch die Luft reiten, skurrile Varieté-Veranstaltungen und höllische Walpurgisnächte wüten, auf die Bühne zu hieven, ist daher ein gleichermaßen stolzes wie schwieriges Unternehmen. Hansjörg Utzerath, der sich als Schauspieldirektor an den Städtischen Bühnen Nürnberg mit dieser Produktion nach 15 Jahren verabschiedet, und sein Dramaturg Thomas Wieck haben das Wagnis gleichwohl auf sich genommen, aus dem Romanganzen die wichtigen Teile herauszubrechen und zu einem langen, poetischen Theaterabend zusammenzustellen. Mit dem Mut zur genialen Einfachheit ist ihnen damit gelungen, was auf deutschen Bühnen nicht selbstverständlich ist: die Reduktion aufs Wesentliche. Und wesentlich war ihnen allein der Autor selber; die Inszenierung kreist um den angefeindeten und begnadeten Erzähler, der Bulgakow zweifellos gewesen ist.

Das Spiel hebt an mit der existentiellen Not des Schriftstellers, der am 28.3.1930 einen verzweifelten Bittbrief an die Regierung der UdSSR schrieb: „Ich bitte in Erwägung zu ziehen, daß die Unmöglichkeit zu schreiben für mich gleichbedeutend damit ist, lebendig begraben zu sein. Wenn jedoch was ich jetzt schreibe nicht überzeugend ist und ich zu lebenslänglichem Schweigen in der UdSSR verurteilt werde, bitte ich die Sowjetregierung, mich zur Arbeit als angestellter Regisseur an ein Theater zu kommandieren. Wenn ich nicht zum Regisseur ernannt werde, bitte ich um die Anstellung als Statist. Wenn auch das nicht möglich ist, bitte ich um den Posten eines Bühnenarbeiters...“

In leisem fordernden Tonfall diktiert Bulgakow (Michael Abendroth) diesen Brief seiner geliebten Frau Jelena, dem letzten Menschen, der zu ihm hält. Sein ärgster Gegenspieler ist Stalin, der wie ein Deus ex machina erscheint und den Schriftsteller väterlich auf den Schoß nehmen darf. Dieser Potentat und Übervater ist eine Marionette eigener Macht und produziert am Telefon nur Leichen: wo immer er mit leiser Stimme seinen Namen nennt, stirbt am anderen Ende der Leitung ein Untergebener — und sei es Stanislawski persönlich.

Von hier führt die Handlung bruchlos in das Geschehen des Romans über. Bulgakow wird zu seiner eigenen Romangestalt, verwandelt sich in den Meister, der im Irrenhaus gelandet ist, weil er seinen Roman — von staatstragenden Kritikern zerschunden — nicht veröffentlichen kann und immer wieder davor steht, ihn zu verbrennen. Doch geschriebene Worte verbrennen nicht, heißt es einmal, und mehrmals wird das Manuskript vorm Feuertod gerettet. Stalin aber geht als historische Bezugsperson in den Statthalter Pontius Pilatus ein, die Hauptperson des geschmähten Manuskripts, der die Bedeutung des ihm vorgeführten Jesus wohl erkennt, aber aus machtpolitischem Kalkül und aus allzu menschlicher Feigheit nicht anders handeln kann, als den Heilsbringer kreuzigen zu lassen. Matthias Wien gibt Pilatus eine zarte, ganz verletzliche Haut, die den Gewissenskonflikt zum menschlichen Problem erweitert und die Machtrolle zu einer bemitleidenswerten Figur werden läßt.

Der Schriftsteller, aus Staatsräson zum (sozialistisch) Guten verurteilt, imaginiert die Schemen des Bösen wie eine Rachearie mit Buffo-Tönen: der Satan und seine Spießgesellen werden auf den Plan gerufen, auf daß sie die so ungläubige Sowjetmacht heimsuchen. Die bitter-böse Satire auf die engstirnige Diesseitigkeit der Moskauer Bevölkerung gehört zu den humorvollsten und klarsten Teilen der Handlung, die von der Inszenierung dankbar ausgespielt werden. Höhepunkt der Bloßstellung ist eine Varietedarbietung, bei der die Teufel allerlei teuflische Tricks ersinnen, bis der unwiderbringliche Ernst des Bösen durchschlägt und Geldgier und Eitelkeit sich selbst entlarven: die biederen Varietebesucher verwandeln sich in eine nach Geld und schönen Kleidern gierende Meute.

Das Inkommensurable, das den Roman durchzieht, kann auch durch seine Theatralisierung nicht völlig aufgehoben werden. Dennoch ist ein vierstündiges Kompendium eindrucksvollster Szenen entstanden, in denen die Poesie der einfachen Mittel wiederentdeckt und einigen Überraschungseffekten Raum gelassen wird. Daß das dramaturgische Gerüst auch szenisch eingelöst werden kann, ist dem Bühnenbild Erich Fischers zu danken, das sich nicht einer teuflischen Bühnenmaschinerie ausgeliefert hat, sondern es bei einem einfachen Halbrund aus Schwingtüren beläßt. Die verschiedenen, aufeinander zulaufenden Handlungsebenen können sich so in einem Raum tummeln und nach Belieben überschneiden. — Bei aller herzhaften Lust an der bissigen Satire bleibt am Ende ein Hoffnungschimmer aufs Humane: Zwar ist es hier der Teufel, der den Menschen vor dem Menschen in den Tod rettet, der weise Schrifsteller aber erlöst seine Romanfigur, den als menschlich schwach geschilderten Pontius Pilatus, von den vermaledeiten Gewissensqualen höchstselbst — soviel menschliche Genugtuung bleibt. Gott sei Dank.

Bulgakow, Margarita und der Meister. Von Hansjörg Utzerath und Thomas Wieck. Regie: Hansjörg Utzerath. Bühne: Erich Fischer. Mit Michael Abendroth, Katrin Spinnler, Felicitas Kielinger, Oliver Karbus. Schauspiel Nürnberg, nächste Aufführungen: 20., 24. und 30.Juni.

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