■ ARTUR, BERLINOID
: Tiere sehen dich an

Aus welchen Beweggründen B. über all die Jahre ausgestopfte Tiere gesammelt und gepflegt hat, das weiß niemand so genau. Ihre Zweizimmervollkomfortwohnung war ausgestattet mit Eichhörnchen, Uhus, Rotkehlchen, Enten, einem Wiesel, verschiedenen Lurchen und Echsen und einem Riesendobbas von Steinmarder. Alle Tiere fein säuberlich auf Brettchen montiert, in naturidentischen Stellungen und mit ganz possierlich schimmernden Glasäuglein versehen.

Schon länger hatte Artur einfühlsam bemerkt, daß B. damit begonnen hatte, ihr Leben zu verändern. Nun sammelte sie keine ausgestopften Tiere mehr, sondern Vollwertkostrezepte, und sie hatte sich mit Haut und Haaren der Sterndeuterei verschrieben. Horoskope waren ihre Leidenschaft. Kann man alte Hausgenossen, auch wenn sie stumm sind und Staubfänger, mir nichts, dir nichts auf den Müll werfen? Der Präparator wollte die toten Tiere nicht, hatte längst genug davon in seiner Werkstatt. Also wurden sie von B. verschenkt, an völlig perplexe Gäste und Freunde. Solche Geschenke kann man schlecht zurückweisen.

Artur bekam dieses Monstrum von Steinmarder in die Hand gedrückt. Schon der Transport des präparierten Raubtierchens auf dem Fahrradgepäckträger durch Schöneberg hat mehrere Beinahe-Unfälle heraufbeschworen. Artur schlich sich an der Küche vorbei, wo der fette Felixkater genüßlich auf dem Rücken lag und sich prall die Sonne auf den Bauch scheinen ließ. Er stellte das Mardervieh ab und wollte sich einen Expresso machen. Da ging es los.

Mit einer kuriosen Rolle vorwärts war Felix schlagartig auf die Beine gekommen und strich, sich sonderbar wiegend und mit leicht gesenktem Kopf, um den staubigen Marder herum, stupste ihn an, rieb eine Schulter an ihm und tat aufgekratzt, als wolle er einen alten Kumpel begrüßen. Der Ausgestopfte aber rührte sich nicht. Felix kroch unter ihm durch, schnüffelte an seinem Hinterteil, seinen Pfoten und leckte ihm über die Augen. Nichts. Der Kater war fassungslos, nieste dreimal kräftig den Fellstaub des zweifelhaften Gevatters aus der Nase und wich erschüttert auf weichen Tatzen, ihn fest im Auge behaltend, zurück. Dann nahm er Hab-Acht-Stellung ein, besann sich kurz, stolzierte mit nervös kreisendem Schwanz wieder zurück und haute dem armen Steinmarder mit voller Wucht einen solchen Hieb hinter die Ohren, daß die Fetzen flogen.

Noch aus der Bewegung sprang er auf einen Sessel und von dort tollkühn auf den Schrank. Offensichtlich fürchtete er, die Maulschelle könne den Marder doch noch zur Attacke provozieren, man weiß ja nie. Artur hat das arme alte ausgestopfte Tier noch am gleichen Tag in die Verwertungsstelle gebracht. Die haben es behalten. Es steht jetzt drohend in der Pförtnerloge, als Mahnung und Verpflichtung. Clemens Walter