»Wilde Streiks« an den Kitas

■ Erzieherinnen protestierten gegen Gruppenvergrößerungen/ Mehr als hundert Kitas für mehrere Stunden geschlossen/ Jugendsenator Krüger gegen Momper-Vorschlag

Berlin. »Stocksauer«, war Jutta Erkens, als sie Mitte der Woche von den geplanten Sparmaßnahmen an den Kindertagesstätten erfuhr. Die Leiterin der Kita in der Kreuzberger Cuvrystraße diskutierte bis zum späten Donnerstag abend mit ihren Kolleginnen über die drohende Heraufsetzung der Gruppengrößen. Um ein Zeichen zu setzen, beschloß man, gestern morgen für vier Stunden die Arbeit niederzulegen.

So wie in der Cuvrystraße waren in zahlreichen Kitas die Türen verschlossen. Nach Angaben der GEW waren über 100 Einrichtungen von den »spontanen Aktionen« betroffen, die meisten in den Ostbezirken Lichtenberg und Hohenschönhausen. In Hohenschönhausen lag gar die gesamte Kinderbetreuung brach. Nach zwei bis drei Stunden kehrten, bis auf wenige Ausnahmen, die Erzieherinnen an ihren Arbeitsplatz zurück. Doch sind viele bereit, ihn wieder zu verlassen, sollte der Senat auf seiner Klausurtagung am Sonntag die Vergrößerung der zu betreuenden Gruppen beschließen. Diese Befürchtung nährt sich aus »gesicherten Erkenntnissen«, die die GEW in der Jugendverwaltung gewonnen haben will. Und sie nährt sich aus einer öffentlichen Erklärung des SPD-Landesvorsitzenden Walter Momper, der am Mittwoch einer Vergrößerung der Gruppen das Wort geredet und damit einen Sturm der Entrüstung entfacht hatte. Die familienpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, Irina Schlicht, wetterte ebenso gegen die dadurch zu befürchtenden pädagogischen Verschlechterungen wie mehrere ihrer Kollegen von der SPD, die ihrem Vorsitzenden vorrechneten, daß »angesichts der katastrophalen finanziellen Situation des Landes Berlin« der Sparbeitrag der Kitas bereits »über eine bedarfsgerechte Reduzierung der Öffnungszeiten von Kita-Gruppen ab 1.8. 92 und über eine differenzierte Erhöhung der Kita-Kostenbeteiligung ab 1.1. 93 erbracht werden«. Diese beiden Maßnahmen werden zur Zeit in der Jugendverwaltung erwogen, um das Haushaltsdefizit zu schmälern. Eine Erhöhung der Elternbeiträge hält Jugendsenator Thomas Krüger für vertretbar, liegen sie doch mit durchschnittlich 95 Mark im Monat in Berlin weit unter dem Niveau der alten aber auch der neuen Bundesländer. Wer sein Kind nur noch sieben Stunden in einer Kita unterbringt, zahlt nur 75 Prozent der Kosten. Nach Berechnungen der Verwaltung könnten dadurch etwa 50 Millionen Mark an Einnahmen gewonnen werden.

Krüger hält jedoch ebenfalls nichts von Mompers Initiative zur Gruppenvergrößerung. Aus »fachlicher Sicht« könne er nicht für einen solchen Vorschlag eintreten. Krüger will diese Position in der Senatsrunde am Sonntag »energisch vortragen«. Allerdings weiß er auch, daß »ein tiefer Graben« zwischen der »fachlichen Position« und der »notwendigen politischen Entscheidung« existiert. Für Krüger geht es bei den anstehenden Sparmaßnahmen darum, »die Regierungsfähigkeit Berlins zu erhalten«. Auch wenn er selbst bereits dem Senat Einsparungen in Höhe von 173 Millionen Mark angedient hat, sieht der Jugendsenator in seinem Ressort »keinen Steinbruch« in dem sich der Finanzsenator bedienen kann. Vielmehr erwartet er auch von seinen Senatskollegen einen Sparbeitrag.

Vor diesem Hintergrund bewertete Krüger die Arbeitsniederlegungen in den Kitas als »wilde Streiks«, die seine Situation in der Senatsdebatte erschweren. Ihm war bereits unterstellt worden, selber die Streiks anzuzetteln, um seine Verhandlungsposition zu stärken. Eine Fortsetzung der Kampfmaßnahmen in der nächsten Woche ist nach Krügers Worten »problematisch«, da es einen Tarifvertrag gibt.

Die GEW will »weitere Maßnahmen« überlegen, sollte der Senat Gruppenvergrößerungen beschließen. Zwar weiß das für die Kitas zuständige Vorstandsmitglied der Gewerkschaft, Andre Dupuis, »daß wir der Friedenspflicht unterliegen«, doch werde »ziviler Ungehorsam« den Kollegen den Rücken stärken. dr

Siehe auch Interview Seite 32