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Jazz auf dem wohl- temperierten Klavier

■ John Taylor spielte ohne Flausen solo im Kito

Das sollte ein virtuoser Pianist sein? Ohne jedes genialistische Gehabe, ganz ohne die wehende Mähne, das kratzige Mitsummen, Schweißtropfen auf den Tasten oder die skurril-obzönen Körperhaltungen, die wir von Peterson, Jarrett, Kühn und Co. gewohnt sind? John Taylor echauffierte sich nicht — unauffällig und fast bescheiden saß er am Steinway- Flügel, schaute zwischendurch nervös auf seinen Spickzettel und spielte makellosen, lyrischen Jazz voller Sensibilität und Klarheit.

Die Balladen, darunter neben Eigenkompositionen und Klassikern seltsamerweise auch das „Lovetheme“ aus dem Monumentalfilm „Spartakus“, spielte er voller Romantik, aber auch mit einer etwas spröden Distanz, und dieser Widerspruch gab jedem Stück eine ganz eigene Dynamik. Nicht nur darin erinnerte Taylor an verstorbenen Pianisten Bill Evans, und aus dessen Einflüssen auf seinen Stil machte er auch keinen Hehl. Zweimal erwähnte er ihn in seinen Ansagen, er spielte sogar eine von seinen Balladen. Bei der Komposition mit dem passenden Titel „Inside“ griff Taylor in den Klangkörper des Flügels hinein, klopfte an die Holzteile und schlug die Saiten direkt an.

Ein anderer Song mit Jazz- Rock Rhythmen entpuppte sich als seltsam nachdenklicher Boogie Woogie. Oft gingen die Songs ineinander über und bildeten Suiten, die Balladen ließ Taylor dagegen meist schön ausklingen. Jeder Ton saß perfekt an diesem Abend, und Taylor bewies seine Musikalität gerade dadurch, daß er den Kompositionen nicht seine Virtousität aufbürdete, sondern die Melodien aus sich heraus strahlen ließ. Dieser Respekt vor den Songs zeigte sich auch darin, daß Taylor Titel und Komponisten jedes einzelnen Songs ansagte. Wenn man bedenkt, daß gerade Jazzmusiker oft kein einziges Wort ans Publikum richten, ist das eine rühmliche Ausnahme. Mit seiner Band „Azimuth“ kommt John Taylor bereits im Oktober wieder ins Kito. Willy Taub

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