: Dudeln für die Zukunft
■ DT64 mutierte zum Kommerz-„Super-Radio 2000-O“
Berlin (taz) — Selbst DT-64- StammhörerInnen bekamen am Freitag beim Einschalten ihres Senders einen Schock. Statt des gewohnten MDR-Jugendradios erklang der erste ostdeutsche Privatsender „Super- Radio 2000-O“ — mit blökenden Moderatoren, fröhlichen Jingles („Gute Laune, wann immer Sie wollen“), musikunterlegten Kurznachrichten (Super-Stories), Gewinnspielen („Was war Ihr schönstes Erlebnis mit der D-Mark?), optimistisch stimmendem Liedgut, gesponsertem Verkehrs- und Wetterdienst sowie Werbung, Werbung, Werbung.
Mit einer perfekten Kommerzfunk-Persiflage gaben die DT-64- MacherInnen dreizehn Stunden lang einen Vorgeschmack, wie es auf ihren Frequenzen bald aussehen kann: Am 1. Juli will der MDR sein Jugendradio auf Mittelwelle verbannen, die DT-64-Frequenzen auf UKW sollen privaten Anbietern zugesprochen werden. Von der Dudelradio-Aktion erhofft sich die DT-64- Crew, ihre HörerInnen in letzter Minute für den Fortbestand als eines der drei UKW-Programme des MDR zu mobilisieren. Als sich Jugendradio vor der drohenden Abwicklung zum Jahreswechsel 92 in ein rauschendes Piratenradio verwandelte, war es schon einmal gelungen, die Fangemeinde von den Sofas auf die Straßen zu holen.
Mit „Super-Radio 2000-O“ haben die DT-64-MacherInnen schonungslos vorgeführt, was die HörerInnen an ihnen haben — engagierte, kreative und kritische Journalisten, wie sie in der Bundesrepublik rar geworden sind. Sämtliche Kennzeichen des Kommerzfunks haben die Leute vom Jugendradio herausgearbeitet und satirisch überspitzt. Alle fünf Minuten blickte der Super-Radio-Moderator auf seine „Prolex- Uhr“, den Wetterdienst sponserte die „Eier aus Halle GmbH“ („Selbst der Kanzler kennt sie“), und die Werbung für das „Miezi“-Katzenfutter versprach den Umtausch der Katze, falls ihr das neue „Miezi“ nicht schmecken sollte. Während die Inhalte zugespitzt wurden, blieb die Form perfekt. Damit hat die DT-64- Crew bewiesen, daß sie nicht nur das beste Jugendradio macht, sondern auch den wahren Dudelsendern Nachhilfestunden erteilen könnte.
„Super-Radio 2000-O“ darf man aber auch als Wink mit dem Zaunpfahl an DT-64-Chef Michael Schiewack und seinen — vom Kommerzfunk importierten — Vize Ulrich Clauß verstehen. Beide haben sich im letzten halben Jahr damit hervorgetan, aus dem Programm allzu Kritisches zugunsten von Hörerspielchen, den Wortanteil zugunsten von Charts zu verdrängen. Und wie praktisch es ist, Korrespondentenberichte nach „Super-Radio“-Manier einfach aus dem Nachbarzimmer durchzutelefonieren, hat man auch bei Jugendradio DT64 längst entdeckt. Micha Schulze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen