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„Sex ist keine karitative Veranstaltung“

KatholikInnentag von unten zur Kolonisierung der Sexualität durch die katholische Kirche/ Offizieller Kirchentag: Der baden-württembergische Landesvater Teufel kritisiert den „Heiligen Vater“ in Rom  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Karlsruhe (taz) — Jede BesucherIn des 6. alternativen KatholikInnentags bekam einen Pflasterstein in die Hand gedrückt. Dieses gewichtige Zeichen am Eingang der Karlsruher Oststadthalle war allerdings keine Reminiszenz an die Zeiten, als „Street-Fighting-Man“ (Stones) noch die Hymne der sogenannten Protestgeneration war. Und auch zum alttestamentarischen „Steinigen“ — etwa des erzkonservativen Soldatenbischofs Dyba — wollte die „Initiative Kirche von unten“ (IKvu) die rund 3.000 jungen ChristInnen nicht animieren: „Pax vobiscum“. Mit den Pflastersteinen sollte der Amtskirche von den KirchenkritikerInnen symbolisch der eingeschlagene Irrweg verbaut werden. Und wer seinen Stein an eine(n) andere(n) BesucherIn weitergab, signalisierte damit, daß er ein „persönliches Gespräch zum Thema Sexualität“ anstrebte. Ein weißgekleideter „Schamane“ am Saalmikrofon entwickelte aus der „vielschichtigen Symbolik der Steine“ dann noch eine neue Urschreitheorie: „Wenn die Steine auf dem Weg der katholischen Kirche durch die Menschheitsgeschichte reden könnten, dann würden sie schreien.“ Und die 3.000 Christen schrien sich — stellvertretend für die Steine — die Seele aus dem Leib.

Als „himmelschreiendes Unrecht“ wurde in den Stunden vor der Urschreianimation von einem mit PsychologInnen und ReligionswissenschaftlerInnen besetzten Podium der Umgang der katholischen Amtskirche mit Homosexuellen, vereinigungswilligen Priestern und vor allem mit Frauen gewertet. Daß noch vor knapp zehn Jahren ein Doktorand der katholischen Theologie mit finanzieller Unterstützung der Amtskirche seine Dissertation mit dem Titel: „Sind Frauen Menschen?“ veröffentlichen durfte, kommentierte etwa die Psychologin Ursula Neumann mit der Feststellung, daß die katholische Kirche nach wie vor die „Sünde der Frauenverachtung“ predige. Seit Thomas von Aquin gelte die Frau als „passives Wesen“ — gerade in sexueller Hinsicht. Generell basiere die gesamte kirchliche Sexualmoral auf einem einzigen Glaubensgrundsatz: „Wer Spaß am Sex hat, der soll ein schlechtes Gewissen bekommen.“ Die eigene Lust als „Sünde“ — „doch Sex ist keine karitative Veranstaltung“, so Neumann. Als sie Kardinal Josef Ratzinger zitierte, kam bei den Versammelten Heiterkeit auf: „Von allen Geheimnissen der Liebeslust gibt es keines, das dem gemeinsamen Gebet gleichkommt.“

Weil Frauen in der katholischen Kirche keine Priesterinnen werden können, und geschiedene und wiederverheiratete Frauen aus den Gemeinden ausgegrenzt werden, fordern katholische Feministinnen seit Jahren die Gründung einer „Frauenkirche“. Die DiskutantInnen auf dem Podium setzten dagegen auf „Massenproteste von Frauen“ innerhalb der Kirchengemeinden, weil „Austritt keine Lösung“ (Neumann) sei. Ohnehin fehlten den Frauen die finanziellen Mittel, um die kursierenden Kirchengründungspläne verwirklichen zu können.

Am Nachmittag mußte dann die Veranstaltung zum Paragraphen 218 vom Zelt in die Tagungshalle verlegt werden, weil rund 2.000 Menschen hören wollten, was alternative katholische Christinnen zum Thema zu sagen hatten. Konsens in der Debatte war die Anerkennung der „moralischen Autonomie“ jedes Individuums. Und deshalb, so die Juristin Monika Frommel, dürfe es die im Paragraphen 218 enthaltene „Gebärpflicht“ eigentlich nicht geben: „In dem Moment, in dem wir anderen Menschen unsere eigenen Werte aufzwingen, sind wir inhuman und unchristlich.“ Die Pastorin Oda-Gebbine Holze-Stäblein klagte dagegen Solidarität mit dem in Bonn vorliegenden Gruppenantrag zum 218 ein — „auch wenn wir uns mehr Liberalität gewünscht hätten“. Der Amtskirche hielt Holze-Stäblein vor, die Augen vor den Realitäten „fest verschlossen“ zu halten: „Mit dem Strafrecht ist dem Problem der Abbrüche nicht beizukommen.“ Viel Beifall gab's für einen Mann, der öffentlich bekannte, sich nach dem vierten Kind einer Sterilisation unterzogen zu haben — „alles kein Problem mehr für meine Frau und mich.“

Ganz anders wurde auf dem offiziellen Kirchentag diskutiert. Da wurde der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) euphorisch gefeiert, weil er sich klar gegen eine Fristenregelung beim Abtreibungsrecht aussprach. Allerdings goß auch Teufel Wasser in den katholischen Meßwein. Die Kirche, so der Chef der neuen CDU/ SPD-Landesregierung, müsse ihre kompromißlose Ablehnung empfängnisverhütender Mittel „überdenken“. Und Teufel wagte es, vor 30.000 Menschen auf der Hauptkundgebung des 91. Deutschen Katholikentages im Karlsruher Wildparkstadion auch den Vatikan zu kritisieren: „Zentralismus führt zu unliebsamen Folgen, nicht nur wenn er von Brüssel, sondern auch, wenn er von Rom kommt!“

Der alternative KatholikInnentag ging am Sonnabend mit einem „rauschenden Abschlußfest“ (IKvu) mit der Rockgruppe Altrace aus dem Elsaß zu Ende. Wie die Veranstalter am Sonntag mitteilten, hätten insgesamt 35.000 Menschen die 60 Veranstaltungen besucht. Der offizielle Katholikentag klang gestern mit einem Hauptgottesdienst aus, den der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, zelebrierte, und an dem auch Bundeskanzler Helmut Kohl teilnahm. Präsidentin Rita Waschbüsch teilte mit, der nächste Katholikentag 1996 finde in Dresden statt.

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