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Dadaisten sind Spielverderber

■ Dadaismus, Schlosserträume, Knastklamotten rund um den Koppenplatz

Auf den ersten Blick ist der Kiez um den Koppenplatz im Bezirk Mitte eine trostlose Gegend. Viele Häuser stehen leer, die Türen sind vermauert, die Fenster der ersten Stockwerke mit Blechen verschraubt. Der Straßenbelag ist uneben, mit Schlaglöchern übersät; alles deutet auf Verfall, Resignation, Apathie. Die »Volkshochschule Mitte« ist ein trostloser Bau, der an eine Kaserne erinnert. Daneben, nicht viel mehr erheiternd, ein »Stomatologisches Zentrum«. Gegenüber spendet die »St. Adalbert Kirche« geistlichen Beistand, »Moni's Café« den Ungläubigen ein wenig Abwechslung. Das Bezirksamt ist hier natürlich mit der Abteilung Sozialwesen vertreten, ein Schild weist darauf hin, daß auch an die Senioren gedacht wird.

Doch wie zum Trotz ragen vier steinerne Säulen eines Mausoleums aus der deprimierenden Häuserzeile hervor, zum Gedanken an den »Rathsvermaudter und Stadthauptmann zu Berlin« Christian Koppe, nach dem der Koppenplatz benannt ist. Als habe er gewußt, daß es Symbole der Hoffnung und Stärke bedarf, um in diesem grauen Kiez zu überleben, wählte er sich im Jahre 1705 diese Ruhestätte zwischen den »Armen und Waisen, in deren Mitte er selbst mit den Seinigen ruhen wollte und ruht«, wie eine Inschrift verrät. Der gute Geist des Hauptmannes war es vielleicht, bestimmt aber auch der billige Wohnraum oder die Möglichkeit, eines der leerstehenden Häuser zu besetzen, daß es viele junge Künstler und Galeristen in das Straßendreieck Rosenthaler/ Oranienburger/Wilhelm Pieck zog. Das Tacheles gilt zu Recht als Mutterschiff dieser Künstlerkolonien, dennoch lohnt auch ein Besuch der kleineren Projekte.

Auffallend schön ist das »Synlabor« in der Kleinen Hamburger Straße 5. Strahlend blau, giftgrün, quietschgelb und scharlachrot deuten schon die Farben der Außenfassade auf die Lebendigkeit und Verspieltheit der Künstlergruppe. Fast alle Räume der vier Stockwerke des Vorder- und Hinterhauses sind den Besuchern zugänglich, ein Labyrinth aus Treppen, Stegen, Verschlägen, Räumen, Höhlen, Nischen, Gängen und Schächten, die von den Böden bis zu den Decken für die künstlerischen Einfälle der zwölf HausbewohnerInnen genutzt sind. Dem Ganzen liegt kein einheitliches künstlerisches Konzept zu Grunde, jeder der Maler, Musiker, Bildhauer, Fotografen und Theatermacher hat seine ganz individuelle Vorstellung von Wohnbarkeit verwirklicht.

Die Ausstellung heißt (T)raumalltag, es ist eine bunt-anarchistische Fantasiewelt, eine Mischung aus Walt Disney, Villa Kunterbunt und einem hemmungslosen Gestaltungswillen der Innenwelten farbbegeisterter Individualisten. Bei den Bildern, Mobiles, Plastiken und Installationen sind alle modernen Stilrichtungen vertreten, es gibt Anleihen von Hundertwasser bis zu den Dead Chicken.

Ein Geruchsteppich aus Öl, Rost und Lösungsmitteln treibt den Besucher vom Erlebnisraum zum Wohnraum, von dem Geisternest auf dem Dachboden hinunter in den Innenhof, wo die KünstlerInnen sich bei einer Tasse Kaffee entspannen und die nächste Bauphase von Synlabor besprechen. Die Besucher sind ausdrücklich aufgefordert, sich an der weiteren Gestaltung des Hauses zu beteiligen. Synlabor wird als »Keimzelle kreativer und kultureller Aktionen« betrachtet, Interessierte sollen »außer Möglichkeiten des Kunstkonsums auch die Möglichkeit der Mitarbeit erhalten«. Das »Kulturbüro« des Hauses koordiniert diverse Arbeitsräume: ein Fotolabor, eine Musiker-, Metall- und Nähwerkstatt, sowie einen Medien- und Probenraum.

Das Synlabor hat viele Kontakte zu KollegInnen vom RA.M.M.- Theater, dem Tacheles, IM EIMER und den Szene-Cafés Arcona und Anfall, was zu gemeinsamen Veranstaltungen im Hause führte — nur der offizielle Berliner Kulturbetrieb zeigt den KünstlerInnen die kalte Schulter. Auch als die »Kunstwerke e.V.« KünstlerInnen aus der benachbarten Auguststraße das »37 Räume«-Festival spendierte, dotiert mit jeweils 1.000 Mark pro KünstlerIn aus dem Senatssäckel, ging das Synlabor leer aus. Die Rache der Enterbten war fürchterlich. Sie stifteten bei der Eröffnungsgala, einem Fußballspiel zwischen KünstlerInnen des »37 Räume«-Projekts und Kunstvermittlern auf dem benachbarten Bolzplatz, ein solches Chaos, daß sich die Beteiligten ihres stiefmütterlichen Handelns schämten — so hoffen es wenigstens die kleinen Strolche vom Synlabor.

Die einzelnen Maßnahmen gegen das Establishment seien an dieser Stelle noch einmal zum Lobe und zur Preisung der kämpfenden KünstlerInnen aufgezählt:

1.Werfen von Knallerbsen auf das Spielfeld

2.Brüllen unschöner Parolen/Abspielen nervtötender Musik

3.Demotivierung der anwesenden BallartistInnen durch Einwerfen von sieben zusätzlichen Fußbällen

4.Austauschen des Siegerpokals (massiv Metall) durch einen Berlin- Bären, Inschrift »Dadaisten sind Spielverderber«. — Ja, das sind sie. Richtig nervig sind jedoch die Spießgesellen von der Deppenfront, die mit mysteriösen Plakaten auf todlangweilige Veranstaltungen locken. Große Überschrift: NIX KUNST (schon mal interessant). Darunter: Spektakel in der Auguststraße. Toll. Eine ganze Latte sogenannter »Special Guests«. Wahnsinn. Dann ein erster Hinweis auf Mittelmäßigkeit und abgähnen: »Verunstalter NIX GbR & Company«. Na gut, ich überlebe ja auch so witzige Wortschöpfungen wie Volxküche oder Doitschland.

Das Spektakel besteht aus buntgeschminkten jungen Menschen, die Fackeln in die Luft werfen und sie auch wieder auffangen. Spektakulär ist auch die Mode der NIX GbR & Company: für die Dame sackähnliche Gehänge aus groben Materialien, mal mit Streifen, mal ohne. Die Zuchthausmode für den Herrn schmiegt sich eng an den Leib, schmale Trägerchen geben dem Oberteil die Lässigkeit, die der Mann braucht, um die Beengtheit seines Gehänges zu ertragen. Lauwarmer Wodka befördert die Laune auf den Nullpunkt. NIX KUNST, nix fun, nix wie weg. Werner

Kleine Hamburger Straße 5, Synlabor , U-Bahn Rosenthaler Platz, täglich 18-22, So. ab 14 Uhr bis zum 30. Juni. Jeden Samstag Grillparty »mit Zutaten« (Lesungen/ Musik)

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