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Deutlich überzogen

■ Betr.: "It's gotta be Rock'n 'Roll Music" von Olga O'Groschen, taz vom 1.6.92

Betr.: »It's gotta be Rock'n'Roll Music«

von Olga O'Groschen, taz vom 1.6.92

Sie halten sich offensichtlich für die geborene Sozialkritikerin, befähigt, schneidend und bissig die fehlgeleiteten Entwicklungen im Jugendsport schlechthin und im Rock'n'Roll ganz besonders zu analysieren und offenzulegen. Ihr Artikel dokumentiert jedoch in Stil und Inhalt, daß Sie weder von den Interessen und Problemen Jugendlicher noch von Sport die geringste Ahnung haben. Ihre Darstellung ist keineswegs satirisch-wahr, sondern schlicht falsch.

Sie überziehen deutlich, wenn sie glauben, sich in beißendem Spott über die Veranstalter und Teilnehmer einer Veranstaltung hermachen zu müssen, von der Sie nicht einmal korrekt berichten konnten, wann sie anfing. Dies alles erlauben Sie sich auch noch im Sportteil und nicht auf Seite 3, wo Kommentare hingehören. Damit zeigen sie schlechten journalistischen Stil.

Unsere TrainerInnen stehen ehrenamtlich in der Turnhalle, um den Jugendlichen zu helfen, sich auf, wie Sie es nennen, »hampeln, Kostüme anprobieren, in kleinen Rangeleien Luft verschaffen« vorzubereiten. In unserem Verein werden die Paare von ausgebildeten Fachleuten trainiert, nicht von den Eltern. Ohne Ausnahme. [...]

Übrigens, die Kids verbringen nicht fünf Tage in der Woche weltfremd im Training, sondern genau so viele Tage, wie sie wollen. Die »kleine Natascha«, die Sie so trefflich als schniefend und hysterisch charakterisieren, weil »sie ihre Maskottchen und Kuscheltiere nicht finden konnte« trainiert in der Regel zweimal in der Woche. Das macht sie, sie werden es nicht glauben, freiwillig. Sie ist übrigens eine Hälfte des besten Deutschen Juniorenpaares und eine der besten Tänzerinnen der Welt. Dies herauszufinden, reichte Ihre Recherchefähigkeit jedoch nicht. [...] Schließlich haben Sie mit ihr kein Wort gesprochen, genausowenig, wie Sie es für nötig befanden, den Veranstaltern auch nur eine einzige Information über die Veranstaltung abzuringen. [...] Statt dessen stützten Sie Ihre Charakterstudien auf meine Kommentare während der Veranstaltung. Sie arbeiten auf der Grundlage der Informationen eines »kleinen, öligen Conférenciers«? Im Gegensatz zu Ihnen weiß ich aber ganz genau, wovon ich rede, wenn ich rede — wenn auch zu ölig für Ihren Geschmack. [...]

Leider, leider haben Sie das Thema verfehlt. Und auch noch mit Absicht. Versuchen Sie nun etwas journalistisch wirklich Schwieriges, nämlich eine gute Entschuldigung an die Kids zu formulieren. Ich hänge sie gern im Training aus. Nur Mut! Gregor Wolf, Berlin 45

Ihr Artikel über die Deutsche Meisterschaft der Schüler und Junioren im Rock 'n' Roll strotzt vor Bösartigkeit, und ich frage mich eigentlich, was wollen Sie mit diesem Artikel erreichen? Daß nun kein Kind oder Jugendlicher mehr Rock'n'Roll-Turniere tanzt und lieber auf der Straße rumhängt, anderen die Jacken abzieht, in Kaufhäusern klauen geht oder nicht in der Lage ist, mit Fairneß, Partnerschaft und Rücksichtnahme umzugehen? [...]

Sie müssen die heutigen »Kinder« wirklich für unheimlich blöd halten, da Sie diese als »herumhampelnde, Klebebildchen tauschende, heulende« Idioten hinstellen? Zufällig ist »die kleine Natascha, die einen Nervenzusammenbruch erlitt und nun nicht mehr tanzen will«, weil ihre Kuscheltiere weg waren, meine Partnerin und Ihre Darstellung von ihr ist eine glatte Lüge. Sie hat zwar fast einen Nervenzusammenbruch bekommen, aber erst nachdem sie Ihren Artikel gelesen hat, und sie hat es nicht verstanden, obwohl sie auch mit beiden Beinen im Leben steht, wie jemand so infam lügen kann.

Der Rock'n'Roll-Sport ist nun auch mal zufällig ein Sport, an dem die ganze Familie teilnehmen kann, es ist doch toll, wenn Eltern so viel Interesse an ihren Kindern haben und sie dabei moralisch unterstützen. Allerdings gibt es kaum Eltern, die die Choreographie ihrer Kinder entwerfen, dafür gibt es in den Clubs lizensierte Übungsleiter und Trainer, auch die Kinder können ihre eigenen Ideen mit einbringen, das heißt, dieser Sport ist auch sehr kreativ! Außerdem ist heutzutage in jeder Sportart Leistung gefragt. Wenn jemand gut ist, wird er eben an Turnieren teilnehmen, aber Sie können ja mal beim Sportbund den Vorschlag einbringen, dies abzuschaffen.

Und der »kleine, ölige Conférencier« ist übrigens einer der besten Rock'n'Roll-Tänzer der Welt, der übrigens ein hervorragender, liebevoller und liebenswerter Jugendtrainer ist, der sich nicht zu ölig fühlt, seine Zeit auch in die Jugendarbeit zu stecken, obwohl er sicherlich selbst viel Zeit mit seinem Training braucht. [...]

Niemand wird zum Leistungssport geprügelt, weder von den Trainern noch von den Eltern. Ich wollte jedenfalls, genauso wie meine kleine Natascha, dies gerne und ganz freiwillig machen, obwohl ich von Fußballfans in meiner Klasse manchmal etwas belächelt werde. Du als Junge tanzt... Doch es macht mir Spaß, und es ist schön, daß sich immer mehr Interessenten dafür finden (und vielleicht dadurch von der Straße wegkommen), aber so ein Artikel, wie Ihrer, hilft nicht, das zu unterstützen. Sascha, fast 16 Jahre alt, Berlin 37

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