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In der Sackgasse

Ein ökologisches Grundrauschen betäubt unser schlechtes Gewissen — es verstellt den Blick auf die Realität und ist für Lösungen unbrauchbar  ■ VON BERND ULRICH

Wir erleben in Deutschland einen harten Ausscheidungskampf zwischen verschiedenen Krisen. Ökonomie, Soziales und Ökologie sind die Wettbewerber in der unausgesprochenen Krisenkonkurrenz. Letztere droht als Verliererin daraus hervorzugehen. Unter der Hand entsteht eine Art ökologischer Auszeit für die 90er Jahre. Die Kosten der Einheit, die Unterstützung der Länder Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, auch die zunehmende Einwanderung und die europäische Einigung, nicht zuletzt sich verschärfende soziale Konflikte scheinen keinen Platz mehr für die ökologische Wende zu lassen. Die bis vor kurzem angestrebte internationale Vorreiterrolle der Bundesrepublik zerstob beim Erdgipfel in Rio. Sicher wird es auch weiterhin eine Fülle kleinerer Umweltschutzmaßnahmen geben, und in einigen besonders kritischen Bereichen — wie beim Müll — wird man Eingriffe vornehmen müssen, die jeder zu spüren bekommt. Aber größere Einschnitte werden ausgesetzt. Offen benannt wird die neue Prioritätensetzung selten, schon gar nicht von regierungsamtlicher Seite; das würde schärfste Proteste der Umweltlobby und Ökokatastrophenangst in weiten Teilen der Bevölkerung auslösen.

Softökologie der 90er Jahre hat Schwächen

Dennoch vollzieht sich auf dem Wege Tausender Einzelentscheidungen mit verändertem Ausgang der Wandel. Von der Ausschreibung von Gewerbegebieten bis zur Umwidmung von Subventionen — man tut zögerlicher, was ökologisch nötig wäre, und man unterläßt nicht, was schadet. Große umweltpolitische Vorhaben versanden, wie der Beschluß vom November 1990, den CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2005 um 25 Prozent gegenüber 1987 zu reduzieren. Heute, kaum zwei Jahre später, gehen Experten bestenfalls von zehn Prozent Reduzierung, eher aber von Stillstand aus. Fast alles, was überhaupt passiert, passiert aufreizend langsam wie beispielsweise die Endlosdiskussion über ein Tempolimit.

Deutlichster Beleg für eine Trendwende ist das immer defensivere Verhalten vieler Ökologen, denen seit der Einheit nichts Neues mehr einfällt. Von Greenpeace bis Klaus Töpfer besteht man — außerhalb evangelischer Akademien — darauf, daß Ökologie nur solche Lösungen präsentieren darf, die Verzicht für die einzelnen ausschließen. Derlei Softökologie hat Schwächen. Einmal stimmt sie nicht. Eine ökologische Umorientierung bei Produktion und Verbrauch ist ohne Verzicht unmöglich. Zudem glaubt, wer die einzelnen ökologischen Krisenentwicklungen und ihre Wurzeln in unserer Lebensweise Revue passieren läßt, ohnehin nicht daran. Schließlich ist der politische Effekt in der Krisenkonkurrenz negativ. In Deutschland ist seit dem Beginn der von Wahlen freien Zeit das bis dahin meist vermiedene Wort heraus: Verzicht ist nun allerorten Thema. In einer solchen Atmosphäre werden Ökologen, die beim Volke nicht anecken wollen, gar nicht mehr bemerkt. Sie haben sich mit ihrem allzu pädagogischen Ansatz — erstmal nur die leichten Reformen durchzusetzen — in die Sackgasse manövriert, während um sie herum der althergebrachte Verteilungskampf tobt. Nun droht eine ganz große Koalition nicht gegen, aber ohne Ökologie.

Man unterläßt nicht, was schadet

Ökoreaktionäre Umtriebe sind schon seit längerem zu beobachten. Es wird schneller, öfter und aggressiver Auto gefahren; echter Pelz ist wieder modern. Die Bauindustrie warnt den Umweltminister vor verschärften Wärmedämmvorschriften, weil sie sonst nicht genug Wohnungen bauen könne. Die 'Bild‘-Zeitung sieht im Autofahrer den „Staatsfeind Nummer eins“, weil in den Städten hier und da verkehrsberuhigt wird. Paradoxe Folgen ökologischer Aufklärung. Heute kann sich eben nicht mehr auf Unwissenheit herausreden, wer Ökoschweinereien begehen will. Offener Zynismus tritt an die Stelle von Naivität. Er kann sich populistisch auf ein breites Unbehagen an den „Öks“ (Schülerslang) stützen, die mit allzu moralischem Verhaltensrigorismus schon mal auf den Wecker gegangen sind. Doch ist das Umweltproblem zu ernst, als daß Ökoreaktionäre mit wegwischenden Handbewegungen und schwachen Argumenten eine Abwehr unserer Gesellschaft von der eigenen Ökokrise bewirken könnten. Der Mainstream nimmt den vorzeitigen Abschied vom ökologischen Aufbruch aus ganz anderen — besseren — Motiven. Es scheint das Gefühl vorzuherrschen, daß „für die Umwelt doch einiges getan wird“. Die soziale Frage ist ins Zentrum zurückgekehrt. Darauf gibt es — aus ökologischer Sicht — zwei Standardantworten:

Erstens: „Ja, es wird einiges getan, aber nicht genug. Schaut Euch nur folgende drohenden Katastrophen an...“

Zweitens: „Ja, die soziale Frage ist wichtig, aber ohne Umwelt kein Wohlstand.“

Mit diesen Antworten kann man recht haben, aber nichts bewirken. Ich möchte statt dessen zeigen, daß wir nach zwei Jahrzehnten ökologischer Bewußtwerdung unversehens ein ständiges ökologisches Grundrauschen erzeugt haben, das uns taub für unsere reale Situation und für rationale Einwände macht. Die soziale Frage, so wie sie sich bei den vergangenen Wahlen und in den Streikwochen stellte, erschwert zusätzlich die Diskussion.

Gegen verschobene Prioritäten spricht auf den ersten Blick die Allgegenwart ökologischer Themen in der Öffentlichkeit. Doch wer unausgesetzt ökologelt, merkt nicht mehr, was er wirklich tut oder unterläßt. Die These vom Mißverhältnis zwischen ökologischen Effekten auf die Natur und auf unser Gemüt, also vom ökologischen Grundrausch, möchte ich mit zwei prominenten Beispielen belegen, einem administrativen und einem institutionellen.

Am 12. Februar 1990 verabschiedete der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten“ (UVP). Der Titel ist überquellender Idealismus. Denn selbstverständlich kann etwas, das in der Zukunft liegt, nicht geprüft, höchstens prognostiziert werden. So ist die UVP reine Gründlichkeitsutopie. Doch wenden wir uns der Verwaltungspraxis zu. Bei der UVP hat der Antragsteller gegenüber der Behörde eine Bringschuld. Wer also eine Fabrik bauen möchte, braucht erstmal eine Menge positive Gutachten. Die UVP-Behörde ist ihrerseits verpflichtet, die anderen Behörden um Stellungnahmen zu bitten. Die Antragsunterlagen werden sodann öffentlich ausgelegt, was wiederum Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern nach sich zieht. Beim Erörterungstermin treffen dann die verschiedenen Interessen, Rechtsanwälte und Gutachter aufeinander. Nun ist die Behörde wieder am Zug und muß eine Übersicht über die Umweltfolgen des Projekts „einschließlich ihrer Wechselwirkung“ erstellen. Jetzt folgt das Haupt- und Herzstück: Die Behörde prüft. Sie hat dafür laut UVP-Gesetz ganze vier Wochen Zeit. Für ein Projekt müssen durchschnittlich 6.000 Seiten behördliche Stellungnahmen, Antragsunterlagen und „Äußerungen der Öffentlichkeit“ geprüft werden. In einem Regierungsbezirk etwa von der Größe Kölns sind damit knapp 20 Menschen befaßt, die oft 20 Projekte gleichzeitig zu bearbeiten haben. Eine gewissenhafte Prüfung wäre also auch dann nicht möglich, wenn die Umweltverträglichkeitsprüfer etwas hätten, was sie nicht haben — verläßliche Kriterien. Sie sind darum auf die seit eh und je bestehenden UVP-unabhängigen Zulassungsrechte zurückgeworfen. Gutachter und Gegengutachter nutzen die Unsicherheit der Behörden aus und bombardieren sie mit Expertisen über Biomassen oder Biotope, Wasseradern oder Krötenwanderwege, je nach Belieben. Der Publicity-Effekt ist überwältigend, der Eindruck auf die Eliten in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung beträchtlich. Die UVP schadet sicher nicht, sie nützt wohl eher. Vor allem aber betäubt sie.

Der schon erwähnte Beschluß der Bundesregierung zur CO2-Verminderung und sein Scheitern zeigen weniger den Unwillen der Koalition oder eine Unfähigkeit des Umweltministers. Vielmehr offenbart sich hier ein Fehler des Systems. Das Vorhaben einer 25prozentigen CO2- Reduktion ist ein Großprojekt, das dem der deutschen Einigung in nichts nachsteht. Wer ist Herr des Verfahrens? Faktisch der Umweltminister. Er braucht für die Realisierung des Beschlusses aber Ressourcen und Kompetenzen aus anderen Ministerien, insbesondere vom Wirtschaftsminister, dem die Energie obliegt, und vom Verkehrsminister. Das Umweltministerium zählt zu den „weichen“ Ressorts und ist aus eigener Kraft nicht in der Lage, beispielsweise ein schlüssiges Energiekonzept vorzulegen oder einen Verkehrswegeplan. Die beiden anderen Ministerien sind natürlich ihrerseits bemüht, sich vom „kleinen“ Umweltminister nicht reinreden zu lassen. Außerdem gehorchen sie anderen Prioritäten als der Umweltminister. Solange das Kabinett nicht komplett ergrünt oder der Umweltminister nicht wie der Finanzminister ein aufschiebendes Veto hat, kann nur herauskommen, was herausgekommen ist. Klaus Töpfer konnte das Energiekonzept Möllemanns und den Verkehrswegeplan Krauses kritisieren, auch die ein oder andere Verbesserung vorschlagen. Eine konzeptionelle Zweitschlagskapazität aber hat er nicht. Töpfer ist ein institutioneller Schwächling. Darum hat er den Kampf ums CO2 schon verloren, bevor er begonnen hat. Der CO2-Beschluß vermittelte national und international den Eindruck eines Aufbruchs, einer Wende. Geblieben sind wenig Effizienzrevolution, mehr Kohlendioxid, viel Spektakel.

Grüne Punkte trüben Blick auf Müll

Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Beim dualen Müllsystem sieht man vor lauter grünen Punkten den Müll nicht mehr, und in der Wirtschaft vermitteln diskursoffene Manager den Eindruck, die größte Macht im Lande habe sich der Umwelt angenommen. Tatsächlich ist auch dort die meiste Bastelei. Kriterium der Ökologie kann aber nicht das Theater sein, das wir darum machen.

Die Wahrheit ist: Wir sind ökologisch noch am Anfang und, wie es die des Ökofundamentalismus unverdächtige niederländische Regierung in ihrem Bericht an die UNCED geschrieben hat: „Der Test für die Umweltpolitik und umweltgerechtes Handeln kommt erst noch.“

Es steht uns nicht frei zu entscheiden, ob wir uns weiterhin mit unserem Umweltproblem beschäftigen sollen oder nicht. Umweltschutz besteht aus drei Teilen: Sanierung von Altlasten, Schutz der Natur und Katastrophenschutz. Je mehr die beiden ersten verzögert werden, desto rascher und desto nachhaltiger wird uns letzterer beschäftigen.

Der Bericht der niederländischen Regierung geht davon aus, daß wir innerhalb einer Generation zu einer „nachhaltigen Produktion“ kommen, das heißt, aufgehört haben müssen, der Natur mehr zu nehmen als sie im gleichen Zeitraum reproduzieren und ihr mehr zuzumuten als sie aufnehmen kann. Andernfalls würden die Kosten — auch die ökonomischen — für uns rapide steigen. Kurzum: Wir können uns eine Auszeit nicht leisten. Sie ist zu teuer.

Es wird heute häufig behauptet, das Phänomen der „German Angst“, die sich in den 80ern vor allem als Kriegs- und Umweltangst darstellte, habe zu Übertreibungen geführt. Faktisch sei die Natur zum Medium der Verdrängung sozialer Probleme geworden. Wenn es jetzt wieder rückwärts in Richtung sozialer Frage gehe, sei das folglich in Ordnung.

Die richtige Kritik an den 80ern wird so zum Plädoyer für eine ökologische Auszeit in den 90ern. Wer wollte heute bestreiten, daß es im vergangenen Jahrzehnt nicht nur Apokalypse-Angst, sondern auch Apokalypse-Sehnsucht bei den Ökopaxen gab? Wer wollte behaupten, die Prognosen der Umweltzerstörung seien nicht aus dieser Sehnsucht heraus zu leichtfertig geglaubt und zu schnell propagiert worden? Und schließlich: Wer wollte dagegen sprechen, daß den Ökologen der Weltuntergang zeitweise lieber war, als über die Zerstörung sozialer Zusammenhänge, über Arbeitslosigkeit und die Rapidisierung aller Lebensprozesse nachzudenken?

Soweit so wahr. Aber die Übertreibung bei den Katastrophenszenarien waren Übertreibungen, keine Erfindungen. Und was 1980 noch eine Übertreibung war, ist es heute oft schon nicht mehr. Schließlich: Wenn die 80er die Verdrängung der sozialen Frage durch die Ökologie waren — was würde besser, wenn es in diesem Jahrzehnt umgekehrt liefe?

Daß wir uns in Richtung Verdrängung bewegen, dafür spricht heute vor allem eines: Die soziale Frage wird nur mehr quantitativ gefaßt. Wenn unter den sozialen Fragen die nach Verantwortung, Verbindlichkeit, umfassender Mobilität, nach dem Bedürfnis zu wurzeln, nach Arbeitszeit und Kosten menschlicher Arbeitskraft gemeint wären, brauchte sich die Ökologie nicht zu fürchten. Denn so gelesen weisen viele soziale Lösungen in eine ökologische Richtung, auch wenn sich Konflikte zwischen sozialen und ökologischen Interessen nie ganz werden vermeiden lassen.

Allein, der Verteilungskampf droht beides zu dominieren: die Ökologie und die sozialen Fragen. Offenkundig bringt der Verteilungskampf noch nicht einmal ökonomisch vernünftige Lösungen — weder beim Subventionsabbau noch bei den Gehältern, weder bei den Staatsausgaben noch bei den Diäten.

Ressourcen müssen verknappt werden

Wir erleben eine besitzstandsorientierte Totalblockade aller gegen alle, seit klar ist, daß es in absehbarer Zeit nur noch um Verteilung von verknappten Ressourcen geht, und wir wegen der Umwelt, der Einheit und der Einwanderung teilen müssen. Mit der Nation als Berufungsinstanz läßt sich keine Bereitschaft zu Opfern erzeugen. Anders als viele Sozialkämpfer vermuteten, kennen Verteilungsschlachten keine Sieger mehr. Aus der Besitzsstandsstarre kommen wir nur mit einer Fassung des Gemeinwohls heraus, die weder nationalistisch noch ökonomistisch ist — zugunsten qualitativ neuer Lösungen bei sozialen Fragen und der Zukunftsinvestition Ökologie.

Wer glaubt, daß wir „erstmal“ die Staatsfinanzen in Ordnung bringen können, schaue sich die Drachentötermienen an, mit denen unsere Spitzenpolitiker heute verkünden, es werde wohl drei bis fünf Jahre keine Zuwächse geben. Das ist ihr neuer Fluchtversuch aus dem double bind, in den sie das Volk gefesselt halten: „Wenn ihr uns nicht die Wahrheit sagt, lassen wir uns nicht mehr regieren. Wenn doch, wählen wir euch nicht mehr, sondern Republikaner oder gar nicht.“

Der Weg aus der Besitzsstandsstarre und dem double bind führt nur über Klartext und ökologisch grundierten Gemeinsinn. Seit 1989 sind der Knappheitsgedanke und die Notwendigkeit des Verzichts von der Ökologie in die Ökonomie, die öffentlichen Kassen und die Sozialpolitik ausgewandert. Das kann für die Ökologie eine Chance sein, weil nun alle und überall auf Knappheit hin denken und handeln müssen. Konnte der Verzicht vor einigen Jahren noch als moralisierend und sektiererisch abgewehrt werden, so ist er heute das Thema schlechthin. Die Ökologen sollten radikale ökologische Sparprogramme entwerfen.

Das wäre ein entscheidender Beitrag zum größten Experiment seit Bestehen der industriellen Demokratie: Die dauerhafte Verknappung der Ressourcen in Friedenszeiten.

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