: Illusionskünstler
■ Andreas Mands Roman „Der Traum des Künstlers“
In seinen früheren Romanen hat Andreas Mand vom Widerwillen erzählt, erwachsen zu werden. In seinem Debüt Haut ab (1982) bewegt sich ein Schüler zwischen diffusen Sehnsüchten und heftigem Ekel gegen die Schule, die häßliche Stadt, die muffige Umgebung: „Für die heißt Erziehung, einen Typen von Null dahin zu bringen, daß er schätzungsweise genauso wird wie sie.“ Kraftvoll wird die Erzählung die ser richtungslosen Unzufriedenheit durch ihre Lakonie und Genauigkeit.
Nach einem schrägen Experiment zwischen Science-fiction und Straßenkampfphantasie (Innere Unruhen,1984) griff Mand in seinem dritten Roman die Perspektive des Heranwachsenden noch einmal auf: Grovers Erfindung (1990) zeigt die Welt aus der Perspektive eines etwa zehnjährigen Pastorensohns aus der Provinz. Die kunstvoll-naive Sprache des Romans erinnert an zwei frühe, halbvergessene Lieblingsbücher: an Salingers Fänger im Roggen und an die Der kleine Nick-Erzählungen René Goscinnys.
Anders als Haut ab zeigt Grovers Erfindung fast ein Idyll; nicht der Abscheu, sondern die Verwunderung und die Versuche, sich die Welt zu erklären, bestimmen die Atmosphäre. Aber auch hier hat der Protagonist keine große Lust, erwachsen zu werden: „Wie kann man es schaffen, daß man nicht selber so wird. Praktisch gar nicht! (...) Ich will nicht, daß ich Bäume schön finde, auf die man nicht mal klettern darf. Ich will gar nicht erst anfangen, daß ich Spargel lieber mag als Gurken. Ich will nicht die ganze Zeit über Krankheiten und das Wetter reden.“ Wie in seinem ersten Roman kommt zum Widerwillen gegen die Erwachsenen das Vergnügen am Spiel mit der Wahrnehmung und an den Versuchen, sich schreibend und fotografierend eine Gegenwelt herzustellen.
Andreas Mands neuer Roman Der Traum des Konditors dreht die Perspektive seiner früheren Bücher um: Er erzählt nicht von Kindern und Jugendlichen, die keine Lust haben, in die bürgerliche Ordnung hineinzuwachsen, sondern von einem Erwachsenen, der aus der Ordnung herausfällt, weil er ein „Künstler“ sein will: „Er hatte den Traum, ein Künstler zu sein. Er bewahrte ihn, während er lernte, arbeitete, seinen Betrieb eröffnete. Er bewahrte ihn, als er heiratete und seine Familie gründete. Er träumte ihn nach Feierabend und an den Sonntagen. Und der Traum begann, seinen Alltag zu stören. Letztlich entschied sich Heinrich für den Traum und gegen die wirkliche Welt.“
Der Traum, den sich der Konditor Heinrich Rabenstein nach dem Ersten Weltkrieg erfüllt, ist bescheiden: Er reist durch die ostfriesischen Dörfer und deklamiert in Schulen und Wirtshäusern, in Hinterzimmern, Vereinslokalen und Privatwohnungen Gedichte. Sein Leben ist eine Mischung aus Kleinbürgertum und Bohème, doch nicht ohne kurze, heftige Freiheitsgefühle: „Heinrichs neues Leben, das mit dem Abrasieren des Schnurrbartes begann, wegen der deutlicheren Artikulation, gipfelte darin, daß er in vermeintlich einsamer Landschaft empfindsame Verse ins Echo rief.“
Aus dem Konditor wird ein verschrobener Sonderling, der seiner Liebe zur Kunst die Sicherheit seiner Familie opfert, schließlich ein weltfremder Eigenbrötler, der im Januar 1933 in die NSDAP eintritt, weil er sich von ihr einen Aufschwung der Rezitatoren-Kunst verspricht. Er biedert sich bei den neuen Machthabern an, um auf Parteiversammlungen und vor der Wachmannschaft eines KZs Gedichte vortragen zu dürfen — kein richtiger Nazi, nur ein Hungerleider, der als Vierzigjähriger sein Bürgerleben gegen die „Kunst“ eingetauscht hat und jetzt zäh an seinen Illusionen festhält.
Andreas Mand reflektiert mit der Biographie dieses Sonderlings dezent die Frage, was die Kunst den Künstler kostet und was sie mit Glücksverlangen zu tun hat; noch in Heinrichs unspektakulärem und unglücklichem Leben ist diese Sehnsucht spürbar, einfach weil der Rezitator seine obskuren Wünsche ernster nimmt als „die Verhältnisse“. Darin gleicht er den Heranwachsenden der früheren Romane Mands. Doch während der Autor dort ein Training der Wahrnehmung und eine Spurensuche in der eigenen Kindheit betrieb, hat er hier sein archäologisches Verfahren verschoben: Der Roman unternimmt eine Recherche in „die Zeit vor meiner Zeit“, die Geschichte Heinrich Rabensteins ist die Geschichte eines entfernten Verwandten.
In die Erzählung hineinmontiert sind Zeitdokumente, Auszüge aus Briefen und Zeitungsartikeln; man sieht dem Autor bei der Spurensuche zu. Mand verknüpft die Biographie des Rezitators mit seinem Projekt der literarischen Selbstvergewisserung: „Die Grundmotive von Heinrichs Biographie gehörten zu den Legenden unserer Kindheit. Später, als ich Anfang zwanzig war, wurde er mir manchmal als warnendes Beispiel vor die Augen gehalten. Schon einmal sei so eine Künstlerexistenz in der Familie gescheitert. Ich kämpfte darum, ernst genommen zu werden, und wollte mit dem Mann vorsichtshalber nichts zu tun haben.“ Jetzt, beim vierten Roman und vom Schriftstellern lebend, benutzt er die Bruchstücke einer verschollenen Biographie, um in ihnen verdeckt die eigene „Künstlerexistenz“ zu reflektieren. Peter Laudenbach
Andreas Mand: Der Traum des Konditors . Roman. Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße UVA, 126 Seiten, 19,80 DM
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