AUF EINEN TROCKENEN WINTER FOLGEN ZUR UNZEIT ÜBERSCHWEMMUNGEN

Sintfluten in Andalusien

Madrid (taz) — Den ganzen Winter über hatte es nicht geregnet. Stauseen und Flüsse hatten sich zunehmend auf Pfützengröße zurückgezogen, selbst der Fluß Tamega im sonst so regnerischen Galicien war im Frühjahr zu einem Algenteich verkommen. Doch kaum hatte die sozialistische Regierung Mitte Mai einige Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung der von der Dürre betroffenen Bauern verabschiedet und war in Madrid das Sprengen öffentlicher Grünanlagen verboten worden, hatte sich der Himmel bewölkt. Es begann mit einem gelegentlichen Nieselregen, auf den der gewohnte Sonnenschein folgte — die untrainierten Wolken mußten offensichtlich erst wieder üben.

Jetzt, nach vier Wochen täglicher vorsichtiger Regengymnastik, sind sie freilich geradezu in einen Taumel verfallen. Am Wochenende schüttete es in ganz Spanien so heftig, als müßten jahrelange Entbehrungen in drei Tagen nachgeholt werden. In Andalusien brachen Straßenstücke weg, entgleisten Züge, wurden Autos in einem Wall aus Schlamm und Steinen eingegraben. Große Straßen verwandelten sich in reißende Flüsse. Die Stauseen, deren trocken- rissiger Boden in großen Fotos die Spanier erschreckt hatte, quellen nun über die Ufer, bei manchen mußte die Schleuse geöffnet werden, um Überschwemmungen zu vermeiden.

Überschwemmungen sind — zumal in Andalusien — nichts Neues. Die Wintermonate sind schon seit einigen Jahren durch Sturzregen gekennzeichnet, die die Straßen mit schlammigen Bächen füllen und alsbald versickern. Freilich macht das Klima eine bemerkenswerte Radikalisierung durch, die sich auf die Landwirtschaft katastrophal auswirkt. Während der traditionell feuchte Norden — Baskenland, Kantabrien, Galicien — immer weniger Regen abbekommt, werden die in Andalusien üblichen Dürreperioden immer wieder von sintflutartigen Regenfällen unterbrochen, die zur Unzeit eintreffen und den ausgedörrten Boden wegschwemmen. Die Interpretationen dieser klimatischen Bewegungen sind unterschiedlich. Während manche Meteorologen eine stetig zunehmende Versteppung Spaniens beobachten, versichern andere, längere Dürreperioden seien — zumal für den Süden — schon immer typisch gewesen. Die häufig aufgestellte Behauptung, Spanien sei bis ins Mittelalter völlig von Wald bedeckt gewesen, den die Amerika- Entdecker für den Bau neuer Schiffe abgeholzt hätten, sei eine Mär.

Unbestritten ist, daß Spanien als einziges Land Westeuropas breite Landstriche besitzt, die zur Wüste zu werden drohen. Nach Angaben von Umweltschützern sind 56 Prozent des Territoriums schwer bedroht. Neben dem Mangel an Niederschlägen ist daran einerseits die zunehmende Erosion schuld, der durch Aufforstung zuwenig begegnet wird, zum anderen ist der Wasserverbrauch in den letzten Jahren rasant gestiegen. Jeder Madrilene verbraucht täglich 350 Liter Wasser.

Während im Frühjahr in vielen Dörfern versucht wurde, mittels Regengebeten das notwendige Naß herbeizuzaubern, plant die sozialistische Regierung zum Entsetzen der Umweltschützer den Bau neuer Stauseen und die Ableitung (noch) wasserführender Flüsse. Die Sintfluten der vergangenen Tage haben Gebete und Stauseen erst mal überflüssig gemacht. Und die Wolken trainieren munter weiter. Gestern war in Madrid der Himmel bedeckt, es ging ein charakteristisches Regenwindchen. Wettervorhersage: gleichbleibend kühl. Antje Bauer