: Erinnerung als Verwechslung
■ Hotelband vs. Campingpublikum. Eric Clapton in der Waldbühne, Berlin
Der sieht aus, sagte M., als würde er sich gerade einen Softporno reintun und wäre kurz davor zu kommen. Gemeint war die Studiofotografie von Eric Clapton, mit nagelneuer Lederjacke und projiziertem rötlichem Hintergrund, die auf der Eintrittskarte zu sehen war. Angekündigt im großen Halbrund der Waldbühne in Berlin war auch Joe Cocker, aber er spielte zu der Zeit, wo die Vierjährigen ins Bett gebracht werden; so mußten wir, M. und ich, auf die rauhere der Stimmen verzichten.
Blieb die weichere, über die wir im Zuge der Anfahrt in eine Debatte gerieten, ob es eine gute Stimme ist, und ich meinte, schon. Clapton, Meister des ganz und gar zurückgelehnten Sentiments.
Die 8-piece-band war schon in Gang, als wir kamen, und der technoide, metallische Sound zersplitterte in der oberen Hälfte der Muschel zu Spänen. Wir fanden unseren Platz weiter unten an der linken Peripherie, im grünen Buschwerk, das die Tribüne rahmt. Vor uns griffen sich die Mittzwanziger schamlos an die Ärsche, anfangs, und hinter uns zogen sich die gut Vierziger lustlos die Kokainstraßen rein, gegen Ende.
J.J.Cales Cocaine hat er nicht gespielt und Lay Down Sally hat er ausgelassen, wenn ich mich nicht irre. Ansonsten das komplette Programm zwischen Reggae, Rock'n'Roll und Blues, der ganze Bogen kalkulierbarer Libido vom schnalzenden Pretending bis zur monogamsten aller Liebesschnulzen: Wonderful Tonight. In diesem Song wird am Ende unter Komplimenten das Licht gelöscht, und natürlich ging auch in Berlin der Tag gewissermaßen mit einer Dämmerung zu Ende, um dem bestellten Wunder der gereckten Feuerchen seinen Platz einzuräumen.
Der Kontrast zwischen Publikum und Band war verblüffend: der Mittelstand mit Neigung zum Campingplatz auf der einen, ein schickes europäisches Grüppchen aus dem Foyer eines Marriott-Hotels auf der anderen Seite: der gelangweilte Münchner Chic der Claptoncrew, die Sängerinnen als Models (oder andersherum), alles abgesteckt, der Aufwand, der Einsatz, der Umsatz. M. sagt: Er sieht aus wie alle Beatles zusammen, vor allem Ringo Starr und John Lennon. Und zu Layla fällt ihm ein, es sei der einzige wirklich große Hit, was hätten Simon oder Dylan dagegen für eine Auswahl, wenn sie in die Kiste der monströsen Erinnerungen greifen würden.
Bei Clapton fließen, unter der Kette akkurat vorgetragener expressiver Gitarrensoli, die Motive ineinander, die Ränder der Songs lösen sich auf, die Erinnerung ist zur Hälfte Verwechslung. Nur schwer kann man sich des Eindrucks entledigen, daß die Vergangenheit, die die Pärchen begeistert beklatschen, nicht ihre gemeinsame ist. Da ist der Gitarrist mit der Sehnsuchtsstimme, ganz in Weiß, schon die richtige Figur zum Abschweifen. Auch er hat manche Haut abgestreift, ohne letztlich daran wund zu werden. Ulf Erdmann Ziegler
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen