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Mit Kleidern im Bett

■ Marco Ferreris „Haus der Freuden“

Beim Zahnarzt kam Marco Ferreri die Idee: „Mir wurden vier Zähne gezogen. Ich stellte mir vor, wie schrecklich es sein muß, überhaupt keine Zähne mehr zu haben.“ So machte der italienische Regisseur die Zahnlosen, das heißt die alten Menschen zum Thema seines Films Das Haus der Freuden (La casa del sorriso).

Handlungsort ist ein Altersheim am Rand der Stadt. Ferreri setzt dem einfachen weißen Bau ein von grellen, bunten Farben bestimmtes Interieur entgegen. Die Szenerie untermalt er mit Flamenco. Die Atmosphäre im Heim ist so schrecklich, wie man sie sich vorstellt: ungeduldiges, freches Personal — frustierte, vor sich hin dämmernde Menschen und natürlich die Kinder und Enkel der Heimbewohner, die nur auf das Geld der Alten scharf sind. In diesem Ambiente inszeniert Regisseur Ferreri eine Liebesgeschichte. Adelina und Andrea, die beide im Heim wohnen, verlieben sich. Adelina (Ingrid Thulin) war einst eine schöne Frau und wurde in ihrer Jugend bei einem Wettbewerb zur „Miss Lächeln“ gekürt.Dieses Lächeln und ihr Charme sind auch jetzt im Alter noch bezaubernd. Das findet auch Andrea (Dado Ruspoli), der Professor für dreisaitige arabische Gitarre und altmodische Charmeur. Die Liebe von Adelina und Andrea, die es nicht bei einer platonischen Beziehung belassen wollen, löst Empörung und Unverständnis bei Pflegepersonal und Verwandten aus („Schämt ihr euch nicht, in eurem Alter?“), aber auch Mißgunst und Eifersucht bei den anderen Heimbewohnern. Einziger Lichtblick für das junge alte Paar: die farbigen Pfleger und ihre Familien, deren Darstellung — immer lebenslustig trotz der Drecksarbeit, die sie machen, immer trommelnd und tanzend — ins folkloristische Klischee abrutscht. Sie tolerieren das Verhältnis von Angelina und Andrea und gewähren ihnen sogar Liebesunterschlupf. Doch das Unglück passiert: Das (weiße) Pflegepersonal klaut Adelinas Gebiß, „damit sie wieder zur Ruhe kommt.“ Die Liebe mit Andrea wird für „Miss Lächeln“ ohne ein ordentliches Gebiß unmöglich.

Ferreri will „das Leben der alten Leute“ zeigen, „wenn die nicht mehr alleine pinkeln und essen können“ — und ihrer Würde, das heißt bei Ferreri ihrer Zähne beraubt sind. „Ich will nur die Realität zeigen, nicht schockieren“ — was er auch (leider) nicht tut. Anstatt Tabus zu brechen, durch Übertreibung aufzurütteln, wie man es aus seinem Film Das große Fressen (1973) kennt, verhält sich alles so, wie man es erwartet.

„Der Film ist eine Liebesgeschichte“, sagt Ferreri. Es drängt sich allerdings die Befürchtung auf, daß Ferreri aus „Altersgründen“ auf Erotik und Leidenschaft verzichtet hat, um sich dafür auf brave Kuß- und Umarmungsszenen zu beschränken. Wenn Andrea und Angelina am Morgen vom Personal gemeinsam im Bett entdeckt werden, sitzen die zwei bekleidet nebeneinander. Auch Ferreri bricht nicht mit den Klischees. Elke Lachert

Marco Ferreri : Das Haus der Freuden. Italien 1991, mit Ingrid Thulin, Dado Raspoli, Elisabeth Kazader u.a.

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