„Wär' Berlin ein Auto, es würde bald liegenbleiben“

■ Das Leben wird teurer/ Busse, Bahnen, Parken, Kitas, Müllabfuhr: Senat erhöht Tarife, um Milliardenloch zu stopfen

Berlin (taz) — Im nächsten Jahr bekommt der Preisauftrieb in Berlin einen kräftigen Schub. Der Inflationstreiber ist namentlich bekannt: Er heißt Eberhard Diepgen und ist der Regierende Bürgermeister der Stadt. Sein Senat hat jetzt drastische Preiserhöhungen beschlossen. Egal ob es die Fahrkarten für Busse und Bahnen, die Tarife für Müllabfuhr und Wasser, die Eintrittspreise für Opern und Theater oder die Gebühren für die Kindertagesstätten sind: 1993 wird alles teurer. Unter dem Druck, ein riesiges Haushaltsloch stopfen zu müssen, traut sich die CDU/SPD-Koalition sogar an die Autofahrer heran. Wenn sie in der Innenstadt parken wollen, müssen sie ab 1993 eine Umweltkarte der Verkehrsbetriebe hinter der Windschutzscheibe haben.

Das Automobilwesen mußte auch als Metapher herhalten, als Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) am Montag die Sparbeschlüsse begründete. „Auf dem Weg ins nächste Jahrtausend liegt eine sehr rumpelige Wegstrecke vor uns“, erklärte Meisner, „und wir Berliner müssen darauf achten, daß wir am Ende noch ein Auto haben, das uns gehört. Wir dürfen uns nicht über den Kurs zerstreiten und müssen aufpassen, daß überhaupt noch Benzin im Tank ist.“

In der Tat wird das Leck im Tank immer größer, der finanzielle Treibstoff wird langsam knapp. Trotz einer Rekordverschuldung, die 1993 schon im dritten Jahr 5,8 Milliarden Mark betragen soll, klafft im Haushaltsplan für das nächste Jahr ein Loch von 2,6 Milliarden. Die verzweifelte Suche nach Einsparmöglichkeiten ließ einige Senatoren, darunter Meisner, die Frage stellen, ob man nicht eines der drei Opernhäuser und eine der Uni-Kliniken schließen sollte. Davor schreckte Eberhard Diepgen zurück. Der Senat behalf sich mit den Tariferhöhungen, mit weiteren Stellenstreichungen und mit Einschnitten in das soziale Netz, das in Berlin bislang enger geknüpft war, aber auch dringender gebraucht wurde als im reichen Westdeutschland.

In Westberliner Tagen kam jede zweite Mark im Landeshaushalt als Zuschuß aus Bonn. Seit der Vereinigung kürzt Bundesfinanzminister Theo Waigel diese Subventionen Jahr um Jahr um einige Milliarden — obwohl das Geld jetzt auch für den Ostteil reichen muß. Die boomende Wirtschaft in den Westbezirken spült zwar wachsende Steuereinnahmen in die Kassen (1993 sollen es 13,8 Milliarden sein), doch mit einem Drittel ist ihr Anteil an den Gesamteinnahmen immer noch weit geringer als in Städten wie Hamburg oder Bremen. In Berlin sind sich deshalb alle einig, daß der Strom der Bundeshilfe nicht einfach versiegen darf. Für 1993 hatte der Senat mit einem Zuschuß von 11,1 Milliarden Mark gerechnet. Als Waigel kürzlich ankündigte, er wolle nur noch 9,6 Milliarden bewilligen, stieß er auf helle Empörung. Immer noch sei Berlin „der einzige Punkt“, klagte Meisner, an dem Bonn „wirklich spart“.

Er und seine Senatskollegen nehmen jetzt Rache. Wenn der Bund der Stadt seine Gunst entzieht, wird Berlin im Gegenzug seine Leistungen für den Bund zusammenstreichen. Das trifft in erster Linie die Hochschulen. Von den 145.000 Studenten, die hier immatrikuliert sind, kommt jeder zweite aus anderen Bundesländern. Diese weit überdurchschnittliche Zahl will der Senat reduzieren, auf 100.000 Studenten.

Kurzfristig helfen derartige Sparschritte nichts. Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) droht deshalb auch mit einer Verfassungsbeschwerde, falls Waigel die Berliner Finanzforderungen nicht erfüllt. Der Bund sei verpflichtet, einzelnen Bundesländern aus finanziellen Notlagen zu helfen. Das habe das Verfassungsgericht erst kürzlich eindeutig festgestellt. Hans-Martin Tillack