: Tiefe, zerstückelt
■ »Baumeister Solness«, frei nach Henrik Ibsen im Club Gerard Philipe
Kein Anfang, kein Ende, dafür Unmassen von Szenen, die wohl den Anspruch haben, tiefsinnig und klug zu sein, aber nur ein verwundertes Achselzucken hervorrufen: Worum geht es eigentlich?
Wer mit weiser Voraussicht die Inhaltsangabe auf einem gelben Blatt vor Beginn der Aufführung studiert hat, wird mit zeitweiligem Verstehen belohnt. Doch nur so lange, bis wieder ein Gewirr von zusammenhangslosen Symbolen die wenigen erklärenden Textpassagen ablöst und den armen Zuschauer in hoffnungslosem Nichtverstehen zurückläßt.
Die Inszenierung von Ibsens Baumeister Solness soll die Geschichte vom Niedergang einer Kultfigur zeigen. Durch den Brand seines eigenen Heimes gelingt Solness der Aufstieg zum Künstler, der für fremde Leute Häuser baut. Aline, Solness' Frau, verwindet diesen Verlust und den darauffolgenden Tod ihrer Zwillinge nicht, sie ist immerwährende Anklage für ihren Mann, da ihr Glück Preis für seine Karriere war. Erst Ragnar, der entmündigte Sohn des Assistenten Browik, schafft die Möglichkeit eines Neubeginns, er läßt den Rest der halbzerstörten Welt einstürzen, alle werden zu Maschinen. Der Spuk hört auf, als Hilde erscheint, die Illusionen erweckt und Solness damit vernichtet. Zum Schluß findet er sich bei Aline wieder, die neues Familienglück für ihn entstehen läßt.
Anfangs noch bereit, Bilder zu akzeptieren, die mit dem eigentlichen Geschehen nichts zu tun haben, resigniert man nach einer endlosen Folge undurchschaubarer Metaphern. Die Darsteller tanzen im Kreis herum und singen dabei ein russisches Kinderlied: »Pust fsjegda budjet sonze« — Immer lebe die Sonne. Sehr schön und poetisch, aber was — bitte — hat das mit Ibsen zu tun? Ebenso unverständlich ist die ständige Grausamkeit gegenüber einer Puppe, die bald von dem einen, bald von dem andern an harte Kanten geschleudert wird. Zweifellos ein betroffen machender Anblick, lächerlich jedoch durch seine Sinnlosigkeit.
Was eigentlich soll erreicht werden durch die Zerstückelung der Geschichte in so viele einzelne Szenen, daß ein allgemeiner Zusammenhang nicht mehr zu erkennen ist? Mehr Tiefe? Oder kaschiert das Theater auf diese Weise fehlende schauspielerische Fähigkeiten? Irene Brie
Weitere Vorstellungen: bis 5.7., Fr.-So. um 19.30 Uhr im Club Gerard Philipe, Karl-Kunger-Straße 29, 1193 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen