: Bezirkspolitiker auf dem Stasi-Prüfstand
■ Verfahren beruht auf fragwürdiger Rechtsgrundlage/ Überprüfung der Berliner Abgeordneten soll nächste Woche abgeschlossen werden
Berlin. Alle Bürgermeister und Stadträte in den Berliner Bezirken müssen sich auf eine mögliche Tätigkeit für das frühere Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überprüfen lassen. Der Kreuzberger Bürgermeisterkandidat Peter Strieder (SPD) hat bereits einen entsprechenden Fragebogen ausgefüllt und schriftlich sein Einverständnis mit einer Gauck-Anfrage erklärt. Für ihn ist das, wie auch für den Steglitzer Bürgermeister Herbert Weber (CDU), eine Selbstverständlichkeit, da es zwischen den Politikern der Ost- und der Westbezirke eine Gleichbehandlung geben sollte. Beide wurden von der Innenverwaltung unterrichtet, daß belastendes Material zu einer Beendigung ihres Dienstverhältnisses führen kann.
Als ausreichend gilt bereits ein negativer Bescheid der Gauck-Behörde. Alle 161 Bezirkspolitiker müssen sich dieser Überprüfung, die der Senat am 2. Juni einhellig gebilligt hat, unterwerfen. Allerdings hat das Verfahren einen wesentlichen Haken. Bürgermeister und Stadträte sind Beamte auf Zeit, der für die Ernennung und Entlassung zuständige Dienstherr für die Stadträte ist der Bürgermeister, für die Bürgermeister der Regierende Bürgermeister. Jedoch werden, laut Gesetz, Bezirkspolitiker von den Bezirksverordnetenversammlungen gewählt und abgewählt. Deshalb ist zweifelhaft, ob der Dienstherr die Berufung oder Abberufung ohne oder möglicherweise gar gegen das Votum der Bezirksverordneten so einfach vornehmen darf.
Auch leitende Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sollen nun, nach dem Willen der Innenverwaltung, von der Gauck-Behörde auf eine mögliche Tätigkeit für das MfS hin überprüft werden. Eine solche generelle »Gauckung« ist jedoch auf den Widerspruch der Justizverwaltung gestoßen. Diese Maßnahme könnte, nach Ansicht der Behördensprecherin Uta Fölster, als unbegründetes Mißtrauen gegen die Bediensteten aufgefaßt werden. In ihrem Haus plädiert man deshalb für einen differenzierten Kriterienkatalog.
Derweil steht die Stasi-Überprüfung der Mitglieder des Abgeordnetenhauses vor dem Abschluß. Am kommenden Montag sollen alle belasteten Parlamentarier vom Ehrenrat gehört werden. Ihnen war zuvor Gelegenheit gegeben worden, in ihre Gauck-Unterlagen Einsicht zu nehmen. Im Gegensatz zu den Bezirkspolitikern reicht bei den Abgeordneten allein der negative Bescheid der Gauck-Behörde nicht aus, um ihre politische Karriere zu beenden. Der Ehrenrat wird alle Fälle individuell gewichten und anschließend gegebenenfalls eine Niederlegung des Mandats empfehlen. In strittigen Fällen kann ein Untersuchungsausschuß einberufen werden.
Das Abgeordnetenhaus ist das letzte Landesparlament, in dem die Überprüfung noch nicht abgeschlossen ist. Erst nach langen Auseinandersetzungen zwischen den Parteien war der Ehrenrat am 18. Oktober letzten Jahres zu seiner konstituierenden Sitzung zusammengetroffen. Die Ergebnisse seiner Arbeit wollte er bereits vor Ostern präsentieren, doch kam es immer wieder zu Verzögerungen des Verfahrens.
Seit Anfang der Legislaturperiode sind drei Abgeordnete wegen ihrer Tätigkeit für die Stasi aus dem Parlament ausgeschieden, unter ihnen der ehemalige Landesvorsitzende der PDS, Wolfram Adolphi. Drei weitere PDS-Abgeordnete, Wolfgang Girnus, Norbert Pewestorff und Dagmar Pohle, hatten sich im Juni letzten Jahres selbst zu ihrer Stasi- Mitarbeit bekannt, jedoch ihr Abgeordnetenmandat behalten. Über die Abgeordneten Christian Zippel (CDU), Dieter Klein (PDS) und Gerhard Schiela (FDP) war ein entsprechender Verdacht laut geworden, doch haben alle drei eine Mitarbeit bei der Stasi bestritten. Im Mai wurde der Abgeordnete Michael Czollek (PDS) unter dem Vorwurf der Tätigkeit für das MfS aus seiner Fraktion ausgeschlossen. dr
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