GASTKOMMENTAR: Gespenst aus dem Osten
■ Die ostdeutsche Sammlungsbewegung will den Kohlschen Populismus für sich
Jetzt endlich soll es soweit sein: die lang ersehnte, lang befürchtete Ostpartei will sich offiziell vorstellen. Es ist schwer auszumachen, was stärker wirkt — die von ihren Initiatoren clever geschürte Gerüchteküche oder die bemerkenswerte Panik der bestehenden Parteien. Letztere mag berechtigt sein. Bisher wirkt der Phantom- Schmerz der Mauer auf fatale Weise weiter. Die Größenordnung der ostdeutschen wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe wird von den etablierten — und das heißt, den westdeutschen — Parteien nach wie vor nicht zur Kenntnis genommen. Für sie ist die Einheit als Anschluß vollzogen. Seitdem gilt wieder business as usual. Wer dann noch mit ansieht, welchen Aufstand die reichen Westdeutschen machen, wenn es um ein paar Mark mehr für die Kosten der Einheit geht, und mit welchen Summen ihre Politiker legal oder illegal abgefunden werden, muß sich über Parteienverdrossenheit und Politikmüdigkeit nicht wundern.
Das Desinteresse der Regierungsparteien ist einfach zu erklären. Wenn über 75 Prozent der Wähler Westdeutsche sind, gibt es keinen Grund, die Bedürfnisse des Rests ernst zu nehmen. Die SPD versucht es anders: sie betreibt von Anfang an eine schizophrene Politik. Das Ergebnis ist naturgemäß ähnlich, denn ihre Klientel ist ebenso aufgeteilt. Wer Teilung praktiziert, dem glaubt man die schönen Worte von der Einheit eben nicht mehr. Warnungen wurden von Anfang an konsequent überhört. Die zu erwartende Popularität einer Ostpartei ist der zwangsläufige Reflex enttäuschter Erwartungen und neuer Frustrationen. Aber das „Komitee für Gerechtigkeit“ in der aparten Mischung von Gysi über Fink bis Diestel praktiziert ebenfalls Teilung. Es kann gar nicht anders, wenn es den seinerzeit erfolgreichen Kohlschen Populismus für Ostdeutschland aktualisieren will. Mehr als ein Mandatssicherungsverein für gescheiterte Blockflöten und die aussichtslose PDS wird dabei nicht herauskommen. Neue Enttäuschungen sind programmiert und damit neuer Schaden für die Demokratieentwicklung in der ehemaligen SED-Diktatur.
Sinnvolle Politik in Deutschland kann man auf keiner Seite der Lebensstandard-Grenze nur für einen der beiden Teile machen. Auch Lösungen für Ostdeutschland sind nicht in einer „parteiübergreifenden“ Neuauflage der Nationalen Front der DDR zu suchen. Ernsthaft vertreten werden können die Interessen der ostdeutschen Mieter, Arbeitslosen und Rentner ebenso wie die der westdeutschen nur durch ost-west-übergreifende Politik. Reinhard Weißhuhn
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