„Maastricht gefährdet Europa“

■ Der Finanzwissenschaftler Hans-Hermann Franke gehört zu den 60 Wirtschaftsprofessoren, die sich mit elf Thesen gegen die Maastrichter Beschlüsse wenden und Nachbesserungen fordern

Freiburg (taz) — Nach dem dänischen Nein und dem irischen Ja zu den Maastrichter Beschlüssen zur Europäischen Währungsunion beginnt allmählich auch in Deutschland die öffentliche Diskussion. Vor dem heute in Lissabon beginnenden EG-Gipfel sprachen sich der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) für eine Neubesinnung in der Europapolitik aus. Es könne „nicht alles so weitergehen wie bisher“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung vom Mittwoch. BDA und DGB appellierten an die Regierungen der zwölf Mitgliedsstaaten, die Ängste der Bevölkerung ernst zu nehmen, und forderten mehr Bürgernähe und Demokratie. Zuvor hatten sich bereits mehr als 60 WirtschaftsprofessorInnen in elf Thesen gegen die Verträge von Maastricht gewandt. Der Freiburger Professor für Finanzwissenschaften, Hans-Hermann Franke, gehört zu den Unterzeichnern.

taz: Sie gehören zur professoralen Protestbewegung gegen die Verträge von Maastricht. War diese ungewöhnliche Aktion nötig?

Prof. Hans-Hermann Francke: Maastricht steht sinnbildlich für Politikerbeschlüsse hinter dem Rücken der Öffentlichkeit. Obwohl diese Verträge zu den wichtigsten politischen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik führen können, weil sie auf den weitgehenden Verzicht hinauslaufen, eine eigenständige Wirtschaftspolitik zu betreiben, wird die öffentliche Diskussion darüber in Deutschland unterdrückt. Das zeigen auch die Reaktionen auf den ablehnenden Volksentscheid in Dänemark, der mit einem beängstigenden Mangel an demokratischer Sensibilität auf die angeblich fehlende Einsicht oder gar Dummheit der dänischen Wähler zurückgeführt wird. Mit derartigen Kommentaren werden Neuverhandlungen über die Maastrichter Beschlüsse kategorisch abgelehnt, obwohl die Verträge wegen der dänischen Abstimmung an sich gescheitert sind. Wir Wirtschaftsprofessoren wollen aber gerade diese dringend nötige Diskussion und Neuverhandlung anregen. Dabei freue ich mich, daß unsere Initiative von so vielen Kollegen getragen wird, die sonst keineswegs politisch die gleichen Auffassungen haben.

Was stört Sie denn so an Maastricht? Wollen Sie den europäischen Einigungsprozeß verhindern?

Wir sind weder gegen mehr ökonomische Freizügigkeit, noch wollen wir weniger Wettbewerb in Europa. Aber dazu brauchen wir keinen wirtschaftspolitischen Einheitsstaat, sondern den Wettbewerb der Wirtschaftspolitik souveräner EG-Mitgliedsländer. Eine Angleichung wichtiger Rahmenbedingungen, wie die Harmonisierung von Rechtsvorschriften, technischen Standards, möglicherweise auch bestimmter Steuern, kann den europäischen Wettbewerb fördern. Die geplante Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung gehört nicht zu diesen für den Wettbewerb und die Freiheit des Handels wünschenswerten Rahmenbedingungen. Im Gegenteil, der Wettbewerb unterschiedlicher Währungen — auch in der EG — vermag die Inflation zu senken, weil er den Bürgern zusätzliche Wahlmöglichkeiten bietet, welche die Währungspolitik kontrollieren und damit die Inflationsrate senken. Maastricht steht dagegen für die überhastete Einführung einer Währungsunion.

Malen Sie da nicht etwas zu schwarz?

Ich befürchte, daß die Inflationsrate der bisher relativ stabilen Währungen steigt, weil die Geldpolitik einer europäischen Zentralbank voraussichtlich weniger stabilitätsbewußt als die der Bundesbank sein wird. Möglicherweise sinkt die Inflationsrate in den bisherigen Weichwährungsländern, weil eine europäische Geldpolitik restriktiver als ihre bisherige sein dürfte. Aber das wird in diesen Ländern — jedenfalls mittelfristig — zu erheblichen sozialen Spannungen führen. Für die Beseitigung dieser Spannungen, die dann wahrscheinlich als Strukturkrisen bezeichnet werden, wird man finanzielle Hilfen der reicheren Partnerländer verlangen. Weil den von Strukturkrisen und Arbeitslosigkeit betroffenen Ländern das Instrument der Wechselkursanpassung fehlt, wird man ihnen in Brüssel diese Finanzhilfen nicht verweigern. Aber diejenigen Länder, die sie aufbringen werden müssen, beispielsweise Deutschland und Frankreich, schädigen damit ihre Möglichkeiten, eigene Infrastrukturinvestitionen zu tätigen und die auch hier immer drängender werdenden sozialen Probleme zu lösen. Je früher die Währungsunion eingeführt wird, desto teurer wird sie für alle Beteiligten.

Was kritisieren Sie konkret an den Maastrichter Beschlüssen? Wo sollte nachgebessert werden?

Vor allem sind die sogenannten Konvergenzkriterien irreführend, weil sie nur scheinbar eine ausreichende Anpassung der Wirtschaftsstrukturen für die Einführung einer Gemeinschaftswährung in der EG anzeigen. Die Maastrichter Verträge fordern als Voraussetzungen für den Beitritt eines Landes zur Währungsunion insbesondere eine Begrenzung der Neuverschuldung des Staates auf drei Prozent und des staatlichen Schuldenberges auf maximal sechzig Prozent des Bruttosozialprodukts. Sollten diese Kriterien zum Stichtag in vier Jahren in allen Ländern zufällig erfüllt sein, kann dennoch nicht von einer ausreichenden Angleichung der Wirtschaftsstrukturen gesprochen werden. Dazu ist ein längerer Entwicklungsprozeß erforderlich, der weder bisher und sicher auch nicht in naher Zukunft so weit fortgeschritten sein wird, daß eine Wirtschafts- und Währungsunion in der EG erfolgreich sein könnte.

Aber die Vorstufe der Währungsunion, das Europäische Währungssystem EWS, hat doch als System fester Wechselkurse zwischen den EG-Staaten ganz gut funktioniert. Sind eine gemeinsame Währung und eine europäische Zentralbank nicht die logische Konsequenz dieser positiven Erfahrung?

Das positive Urteil über das Europäische Währungssystem wird von mir nicht geteilt. Es gibt seit 1986 so große Spannungen und Ineffizienzen im EWS, daß manche Kritiker — so wie ich auch — von einem Scheitern dieses Versuchs sprechen. Nur die besonderen Schwierigkeiten, welche Deutschland durch die Lasten der Vereinigung hatte, haben die großen Probleme des EWS verdeckt.

Der Bauplan für Europa stimmt also nicht. Was treibt die Politiker in Zeiten der Fremdenfeindlichkeit und aufflackernder Vaterlandsliebe zur Europa-Euphorie?

Wegen kurzer Wahlperioden handeln Politiker unter großem Zeitdruck. Angesichts der gegenwärtigen umwälzenden weltpolitischen Ereignisse fürchten sie möglicherweise, es zu versäumen, die „Weltgeschichte“ mitzugestalten. Aber — wie so häufig — ist weniger oft mehr. Interview: Alexander Spermann