: Tuntenhaus geräumt
■ Großaktion der Polizei: Mindestens 60 Beamte nehmen fünf Schwule vorübergehend fest
Es ging alles ganz schnell: „Um 11.10 wurden wir angefordert, um 11.15 Uhr waren wir hier“, sagte der Einsatzleiter gestern nach der Aktion. Die Polizei war gut vorbereitet. Etwa 60 Beamte räumten gestern im Zuge der Amtshilfe für einen Gerichtsvollzieher das vom Tuntenkollektiv besetzte Haus Grünenstraße 19-21. Die Türen standen offen, die Polizei überraschte fünf junge Männer im Schlaf und brachten sie zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf das Neustädter Revier.
Kripo, Schutzpolizei und SEK hatten die Zufahrten zur Grünenstraße systematisch abgesperrt. So waren lediglich die Bewohner des frisch befriedeten besetzten Nachbarhauses Grünenstraße 18 Zeugen der Aktion.
Am frühen Morgen hatte der Anwalt des Hausbesitzers, Rechtsanwalt Bernhard Gätjen, vor der 3. Zivilkammer des Landgerichtes Bremen eine Einstweilige Verfügung erwirkt, wegen „Dringlichkeit ohne mündliche Verhandlung“, wie es in dem Gerichtsbeschluß heißt. Ausgestellt war die Einstweilige Verfügung auf zwei namhaft genannte Besetzer, deren Personalien sich die Polizei zwei Tage vorher durch Personenüberprüfung besorgt hatte, sowie auf unbekannte Mitglieder einer Gruppe, „die sich selbst Tuntenkollektiv nennt“.
„Wir haben keine Räumungsklage eingelegt, weil uns das zu lange gedauert hätte“, erklärte Anwalt Gätjen. Dringlich sei die
Wie befürchtet, so vollzogen: Polizisten lesen von der drohenden RäumungFoto: Jörg Oberheide
Räumung vor allem deshalb gewesen, weil „die Mieter des Hauses uns eine Frist gesetzt hatten, das Objekt zu übergeben.“ Nachdem die Verhandlungen mit der Sozialbehörde über ein Ersatzhaus für die Schwulen gescheitert seien, habe man zur Tat schreiten wollen.
Neuer Mieter der ehemaligen Druckerei ist die Baufirma von Reinhold Bürandt. Das Haus soll umgebaut werden: Zwei Wohnungen, ein Büro, ein Ausstellungsraum. „Wir haben im Mai den Mietvertrag unterschrieben und eine Kaufoption erhalten“, so Bürandt gestern. Die Umbauar
beiten hätten Pfingsten bereits beginnen sollen. Eilends war er gestern nach der Räumung mit Baumaterial vorgefahren, um mit den Umbauarbeiten sofort zu beginnen. „Heute nacht werde ich das Haus mit Hund bewachen“, sagte er.
Die Polizei durchsuchte nach der Räumungsaktion das Haus akribisch. Fotos und Video-Aufnahmen wurden gemacht, Beamte der Kripo untersuchten mit Gummi-Handschuhen die Räume. Gegen die Besetzer ist Anzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt worden, die Aufnahmen dienen zur Feststellung eines Schadens,
für den die Besetzer haftbar gemacht werden sollen.
Sowohl Druckerei-Besitzer Wendt als auch der künftige Mieter Bürandt zeigten sich maßvoll, was die Strafverfolgung der Schwulen anbelangt. „Wir werden mit unserem Rechtsanwalt sprechen, ob wir die Anzeige zurückziehen können“, sagte Wendt auf Anfrage. Auch Bürandt ist über die Räumung so froh, daß er über Schadenersatz „mit sich reden“ ließe. Allein Anwalt Gätjen will „die Strafanzeigen unbedingt aufrecht erhalten.“ „Wir werden gegen diese Leute einen Schuldentitel erwirken, und dann haben wir 30 Jahre Zeit, uns finanziell an ihnen zu befriedigen“, erklärte Gätjen. Die Anzeige sei „notwendige Konsequenz des Rechtsbruchs.“
Das Tutenkollektiv selbst wertete die Räumung gestern als „Schlag gegen die Schwulen“ und kündigten für heute Protestaktionen an. Man sei vor allem über die Sozialbehörde enttäuscht, weil die Verhandlungen um einen alternativen Ort ohne Ergebnis verlaufen seien. „Wir haben uns das fairer vorgestellt“, erklärte einer von ihnen.
Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Martin Thomas, der im Mai die Verhandlungen um das Huas zwischen Besetzern und Besitzern vermittelt hatte, wertete die Räumung als „Niederlage für die Politik“ und erinnerte die Sozialbehörde an ihr Versprechen, nach einem Haus für die Schwulen zu suchen. „Die Behörde ist bei den Jugendlichen im Wort.“ Markus Daschner
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