: Einheit kostet Einheiten
■ Heute entfallen die Vorwahlnummern zwischen Ost-und West-Berlin/ Trotz telefonischer Wiedervereinigung weiterhin falsche Verbindungenk/ Leitungen hoffnungslos überlastet
Glaubt man der Telekom, dann ist die telefonische Wiedervereinigung Berlins mal wieder »ein entscheidendes Stück vorangekommen«. Mit dem heutigen Tag entfallen die leidigen Vorwahlnummern »849« bzw. »9« zwischen dem Ost- und dem Westteil der Stadt.
»Die Netzvereinigung war nicht einfach«, stöhnte Telekom-Sprecher Bernhard Krüger im taz-Gespräch. Zwischen den beiden Stadthälften wurden insgesamt 6.000 neue Leitungen geschaltet, 5.000 Kilometer Glasfaserkabel verlegt und 137 Vermittlungsstandorte digitalisiert. Insgesamt verschlang die Berliner Ortsnetzvereinigung 360.000 Stunden Arbeitszeit und rund 500 Millionen Mark.
Die größten Probleme bereiteten laut Krüger 150.000 doppelt vergebene Telefonnummern. Nach Kohlschem Vorbild konnte die schwere Aufgabe jedoch musterhaft gelöst werden: Während sich lediglich 15.000 Westberliner Haushalte mit einer neuen Nummer anfreunden mußten, waren in Ostberlin 135.000 Haushalte betroffen. Immerhin verhalf der Wechsel der Prenzelberger Anschlüsse von »43« zu »42« den Mitarbeitern des Bezirksamts zu einigen ruhigen Arbeitstagen. Da Anrufern die Nummernänderung nicht — wie üblich — auf einem Ansageband mitgeteilt worden war, konnten ratsuchende Bürger die Behörde wochenlang nicht ereichen.
Insgesamt ist die telefonische Wiedervereinigung Berlins noch relativ glimpflich verlaufen. Zu verdanken ist das vor allen den deutschen Träumen der Westberliner Postpräsidenten. Nach der Teilung der Stadt hielten sich alle Amtsinhaber an die Abmachung, die Nummern 5 und 9 für die Wiedervereinigung frei zu halten. Damit kann heute auch die Sehnsucht des Postpräsidenten Klaus Werner nach Wiederherstellung der »Rufnummerspirale« befriedigt werden — ausgehend vom Stadtzentrum steigen die Berliner Anfangsziffern im Uhrzeigersinn an. Da die SED-Postler jedoch von der Gesamtberliner Rufnummernspirale nichts wissen wollten, weist sie einige Schönheitsfehler auf.
Mit der Erklärung, die telefonische Wiedervereinigung sei »vorangekommen«, räumt die Telekom selbst ein, daß die telefonische Einheit noch nicht erreicht ist. Jeder, der nicht ständig mit einem Funktelefon im Aktenkoffer herumläuft, weiß davon ein Lied zu singen. Trotz 5.000km Glasfaserkabel ist zu mancher Tageszeit von Ost nach West kein Durchkommen möglich. Wer etwa versucht, aus Friedrichshain die taz zu erreichen, hört spätestens nach der »25« das Besetzt-Zeichen. Ähnliche Erfahrungen sind auch in umgekehrter Richtung keine Seltenheit: »Nach Washington komme ich beim ersten Mal durch, nach Köpenick brauche ich zwanzig Anläufe«, stöhnt die taz-Redakteurin am Nachbartisch.
»Zwischen Ost und West gibt's keine Probleme mehr, das kann ich mir gar nicht vorstellen«, wundert sich Telekom-Sprecher Krüger über die beklagten Verbindungsengpässe und fragt ärgerlich, warum ich ihn denn nicht angerufen hätte. »Ich hätte mich dann darum kümmern können, daß die entsprechende Leitung verstärkt wird.« Entgegen den Erfahrungen vieler Telekom-Kunden (siehe Umfrage) seien laut Krüger (Telefon 3282011) auch Fehlverbindungen, die auf der Telefonrechnung ordentlich zu Buche schlagen, »spürbar zurückgegangen«.
Ist das Telefonieren innerhalb Berlins schon schwierig genug, wird es ganz chaotisch, wenn man die Stadtgrenzen verläßt. Wer den Freund in Berlin aus dem Urlaub anrufen will, muß aus drei Vorwahlnummern die richtige herausfinden. So ist Gesamtberlin aus dem Ausland und den alten Bundesländern zwar unter der einheitlichen Vorwahl 030 zu erreichen. Für den Telefonverkehr aus der Ex-DDR gelten jedoch die alten Vorwahlnummern für beide Stadthäften weiter. Erst nach den Umstellungen der DDR-Ortsnetzbereiche, angestrebt bis Ende 1993, wird Berlin von überall aus unter 030 zu erreichen sein.
Anläßlich des Wegfalls der Vorwahlnummern feiert sich die Telekom heute von 9 bis 14 Uhr auf dem Alexanderplatz selbst. Neben einer Blaskapelle und Luftballons erwartet Festbesucher die Möglichkeit, kostenlos weltweit zu telefonieren — sofern sie genügend Geduld mitbringen. Micha Schulze
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