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Bewegung Ost soll in 14 Tagen stehen

■ Diestel will ostdeutsche Interessenvertretung in den nächsten zwei Wochen gründen/ Parteiübergreifende Zusammenarbeit verlangt/ Bürgerrechtler Schorlemer warnt vor Rechtsruck

Berlin (taz) — Das Enfant terrible der brandenburgische CDU, der frühere DDR-Innenminister Peter- Michael Diestel, hat angekündigt, „innerhalb der nächsten 14 Tage“ eine „Interessenvertretung der Ostdeutschen“ aus der Taufe zu heben. Unter dem Beifall von rund 600 Zuhörern bekräftigte Diestel bei einer Veranstaltung der Friedrich Ebert Stiftung in der Ostberliner Humboldt-Universität am Donnerstag abend seine Entschlossenheit, eine Sammlungsbewegung zu gründen. Programmatische Aussagen über die Inhalte der geplanten Bewegung machte Diestel nicht. Ebensowenig wollte er den Namen verraten, der über die bereits kursierende Entwürfe für einen entsprechenden Gründungsaufruf stehen soll. Diestel nannte die politische Alltagsarbeit im ampelregierten Landtag von Brandenburg ein Beispiel für eine parteiübergreifende Vertretung ostdeutscher Interessen. Er werde sich nicht damit abfinden, „daß es normal sein soll, daß 30 Prozent der Ostdeutschen arbeitslos sind“. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den etablierten Parteien läßt sich für Diestel aus den Kommunalwahlen in den östlichen Bezirken Berlins ableiten.

„Katastrophal“ sei, wenn 40 Prozent der Wahlberechtigten dort nicht zur Urne gingen und die CDU als Volkspartei ein Wahlergebnis von lediglich 14 Prozent erreiche. Sein Rezept: „In Sachfragen über die Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten“. Ganz Populist rief Diestel dazu auf, parteitaktische Überlegungen zurückzustellen: „Der Osten hat keine Zeit, sich mit derartig nebensächlichen Dingen zu beschäftigen“.

Der Schriftsteller Stefan Heym, der wiederholt als Mitinitiator genannt worden war, erklärte bei der Veranstaltung, eine Sammlungsbewegung locke heute niemanden mehr „hinter dem Ofen hervor“. Statt eine neue Partei zu gründen, solle Diestel „die Menschen unterstützen, ihre Sache selbst in die Hand zu nehmen“. Die Menschen im Osten dürften nicht wie das sprichwörtliche Kannichen vor der Schlange erstarren. „Dort wo sie Unrecht sehen, müssen sie aufstehen“. Diestel solle beitragen, „das Volk dazu zu kriegen, seine eigene Lobby zu sein“. Vor einem Rechtsruck in den neuen Bundesländern hat der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer bezüglich der Parteiengründungen in Ostdeutschland gewarnt. In einem Interview mit dem 'Mitteldeutschen Express‘ (Halle) sagte der Bürgerrechtler: „Ich halte die Ostbewegungen für sehr gefährlich. Sie verführen die Bürger mit Stammtischparolen, bieten keine politischen Alternativen.“

Die neuen Bewegungen sind nach Ansicht Schorlemers Ausdruck einer tiefen Spaltung zwischen Ost und West. „Die Ost-Bewegungen werden den Graben zwischen Ost und West vertiefen und können zu einem Rechtsruck führen.“ Wolfgang Gast

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