Türkei gibt irakischen Kurden eine Galgenfrist bis zum Jahresende

Istanbul (ips) — Das Parlament in Ankara hat am Wochenende das Mandat für die in der Türkei stationierten alliierten Truppen, die die Sicherheit der kurdischen Bevölkerung im Nordirak garantieren soll, um sechs Monate verlängert. Es wird jedoch damit gerechnet, daß zum Jahresende Schluß ist mit dem westliche Militärschutz. Das Interesse an Wirtschaftsbeziehungen mit dem Irak und die Angst vor einem Kurdenstaat dürften dabei den Ausschlag geben.

„Operation Poised Hammer“ — „Schwebender Hammer“, tauften die USA den im Vorjahr errichteten Schutzschild für die irakischen Kurden. Die im südtürkischen Incirlik stationierte Kampfflugzeuge der USA und westlicher Golfkriegs-Alliierter sollen Saddam Hussein von neuen Angriffen auf die rebellische Bevölkerung im Norden abhalten.

Als enge Verbündete der USA gab die Türkei damals ihre Zustimmung, allerdings nur für eine Periode von jeweils sechs Monaten. Der Segen der türkischen Nationalversammlung war zunächst leicht zu erhalten. Doch nicht so das letzte Mal, als eine Verlängerung bis Dezember anstand: Nur mit Mühe und Not konnte Regierungschef Süleiman Demirel eine Mehrheit zusammenkratzen.

Die wachsende Opposition gegen die alliierte Luftstreitmacht hat zwei Hauptgründe: die Spannungen mit dem Irak, bis zum Beginn der Golfkrise im August 1990 einer der wichtigsten Handelspartner Ankaras, werden als für die Türkei wirtschaftlich nachteilig empfunden. Der zweite Faktor ist die Entwicklung in der kurdischen Frage.

Seit dem Ende des Golfkriegs und vor allem seit den Parlamentswahlen im Oktober, als 22 deklarierte Kurden auf der Liste der sozialdemokratischen Volkspartei (SHP) ins Parlament kamen, hat das lang verdrängte „Kurdenproblem“ immer bedrohlichere Ausmaße angenommen. Letzter Höhepunkt war ein regelrechter Volksaufstand in den Kurdengebieten entlang der irakischen Grenze, den die „Kurdische Arbeiterpartei“ (PKK) Ende März aus Anlaß des kurdischen Neujahrsfestes inszenierte. Die Wahlen im irakischen Kurdistan am 19. Mai haben die Spannungen weiter verschärft.

Die Koalitionsregierung aus Demirels konservativer Partei des rechten Wegs und der SHP fürchtet, daß das irakische Beispiel die türkischen Kurden zu einer Intensivierung ihres Freiheitskampfes anspornen wird. Die irakische Kurdenautonomie gründet aber nicht zuletzt auf dem militärischen Schutz der Alliierten. Und es ist einzig und allein die multinationale Luftstreitmacht in Incirlik, die der Rückkehr zur früheren Zusammenarbeit beider Staaten im Wege steht — wahrscheinlich aber nur bis Dezember. Im Falle ihres Abzugs werden es dann wieder einmal die Kurden sein, über denen ein Hammer schwebt. Dilip Hiro