: Theater auf der Titanic?
■ betr.: 'World Media' Nr.4 vom 30.5.92, und "Theater auf der Titanic" (ebda)
betr.: 'World Media‘ Nr. 4 vom 30.5.92, und W.Sachs „Theater auf der Titanic“ (ebda)
Nein, die Metapher ist einfach falsch. Mit Theater hatte das Ganze nichts zu tun; war weder Posse noch Komödie und ein Trauerspiel schon gar nicht. Theater hat es — bei aller Differenz und Vielgestaltigkeit — immer noch irgendwie mit individueller oder kultureller Selbsterkenntnis zu tun. „Rio“ war von Anfang an die Veranstaltung einer Täuschung. Theater weiß sich — auch im gelungensten „schönen Schein“ — immer als Theater. „Rio“ glaubt an sich. Das ist das eine.
Das andere ist 'World Media‘ (WM). WM will „global“ sein wie „Rio“; und WM geriert sich als das „Rio der Kritik“. Darum ist auch WM nicht einfach nur „Theater“ und die einleitende Theater-Kritik nicht nur der Auftakt eines globalen Kritik-Potpourris. WM verdankt sich einem technotropen Bewußtsein, das jede noch so gut gemeinte oder „radikal“ formulierte „kritische“ Reflexion mühelos absorbiert (kein Technik-Enthusiasmus der fünfziger Jahre konnte sich in einem derart technizistischen Rahmen äußern wie die fortgeschrittene Technik-„Kritik“ der Neunziger).
Gegen die Integrations- und Absorptionskraft dieses Rahmens kommt kein sprachliches Argument mehr an. Kritik wird darin notwendig salopp — als nähme sie sich selbst nicht ernst. WM ist ein „Aufklärungs-Satellit“ unter anderen: die gleiche Perspektive, in der — bei allem Gerede über local communities — einzelne nicht vorkommen können. Vielleicht stand Goethes „Weltliteratur“ mit am Anfang jener eurozentristischen, kolonisierenden „Welt“-Phantome, die sich über den „Weltmarkt“ und „Weltfrieden“ und die „erste, zweite... fünfte Welt“ zur „Weltverantwortung“ in der einen(!) „Weltrisikogesellschaft“ verdichteten (heute „kritisch begleitet“ von 'World Media‘). Gegen den „Weltfrieden“ dieses friedlosen Jahrhunderts wehrte sich schon A.Schnitzler (1918), weil „Weltfrieden mit Menschenliebe direkt nicht das geringste zu tun hat“. Dirk v. Boetticher, Schriesheim
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