piwik no script img

Von wegen Marmorblöcke verwalten

■ Mit Dieter Ronte, dem Leiter des erweiterten Sprengel-Museums in Hannover, sprach Michael Stoeber

Dieter Ronte, 1943 in Leipzig geboren, aufgewachsen im niedersächsischen Wilhelmshaven, ist seit drei Jahren Leiter des hannoverschen Sprengel-Museums. 1979 errichtet, wurde es jetzt in einem zweiten Bauabschnitt erheblich erweitert. Das Museum beherbergt eine der bedeutendsten Sammlungen zur klassischen Moderne, die der Fabrikant Bernhard Sprengel zusammentrug, und zählt zu den acht großen deutschen Museen der Kunst des 20.Jahrhunderts.

Ronte war nach der Promotion 1970 am Wallraf-Richartz-Museum in Köln tätig. Danach übernahm er die Leitung der Grafischen Sammlung im Museum Ludwig, und ab 1979 war er zehn Jahre lang als Direktor des Museums für Moderne Kunst in Wien tätig.

Mit Michael Stoeber sprach er über den Umbau des Sprengel-Museums, die Sammlung, sein Programm und sein Selbstverständnis als Museumsmann. Schließlich auch über sein neues Buch, „Die Wa(h)re Kunst“, das er zusammen mit dem Volkswirtschaftler Holger Bonus schrieb und in dem Konvergenzpunkte von Ästhetik und Ökonomie herausgearbeitet werden.

Michael Stoeber: Herr Dr.Ronte, was hat sich für das Sprengel-Museum nach dem Umbau verändert?

Dieter Ronte: Die Architektur ist logischer geworden, seine Infrastruktur verbessert. Das Museum hat ein neues Zentrum, und es ist fürs Publikum dreimal so groß. Auf Grund der Zeit seiner Entstehung konzentrieren sich in diesem Haus die Utopien der 68er Generation. So erklärt sich, daß da, wo das beste Licht ist, das Oberlicht, bei uns die Kinder spielen. Das ist nun nicht grundsätzlich korrigiert worden, aber doch weitgehend verbessert durch die zusätzlichen Oberlichtsäle für die Kunst nach 1945. Sie formieren sich zu einer Enfilade, die das Kernstück des neuen Hauses bildet. Die alte Museumsstraße wurde auf 120 Meter erweitert und verbindet den Alt- mit dem Neubau. Über sie sind alle Ausstellungsräume zu erreichen. Außerdem haben wir durch den Umbau für die Sammlung im Untergeschoß etwa 35 Prozent der ursprünglichen Ausstellungsfläche hinzugewonnen plus eine disponible Präsentationsfläche im Erdgeschoß von 750 Quadratmetern, knapp sieben Meter hoch, flexible Wände, so daß wir nicht mehr Exponate der Sammlung abhängen müssen, wenn wir eine größere Ausstellung machen wollen.

Gibt es vielleicht ein Museum auf der Welt, das Sie als vorbildhaft begreifen und das beim Umbau Pate stand?

Das ist eigentlich mehr eine Idee als ein konkreter Ort. Das ist immer noch und immer wieder der Satz von Mr.Barr Junior vom Museum of Modern Art, der gesagt hat, das Museum ist ein Labor, und das Publikum ist eingeladen, an den Experimenten teilzunehmen. Museen sind sehr schwer miteinander zu vergleichen, weil ihre Physiognomie von ihren Sammlungen abhängt.

Wie reagiert denn die Architektur des Hauses am Maschsee nach dem Umbau auf die Sammlung?

Funktional. Wir sind ja ein eher protestantisches Haus. Der Erweiterungsbau stellt im wesentlichen eine Fortsetzung und Vervollkommnung des bereits im ersten Bauabschnitt angelegten architektonischen Konzeptes dar. Auch die Architekten (Peter und Ursula Trint, Köln, und Dieter Quast, Heidelberg) sind dieselben.Im übrigen halte ich auch nichts von der starken Disneylandisierung, die man in immer mehr Museen und bei immer mehr Ausstellungen beobachten kann. Daß Bilder wie auf dem Theater inszeniert werden. Für die Sammlung brauche ich eine Wand und gutes Licht. Man sollte nicht über die Architektur preziöse Futterale für die Kunst schaffen, wie zum Beispiel in Frankfurt. Das Sprengel-Museum will da nüchterner sein.

30.000 Blätter — kennen

Und Sie meinen, das Publikum wird das schätzen?

Ich hoffe es. Wir wollen das Museum noch stärker als bisher zu einem Ort der Begegnung machen. Dafür genügt es nicht, daß wir nur Öl auf Leinwand und Marmorblöcke verwalten. Wir werden unsere Ausstellungen permanent und ganz intensiv einrahmen durch Vorträge, Lesungen, Theater, Führungen, Musikabende. Dazu dient auch der neue, multimediale Vortragssaal mit 280 Plätzen auf ansteigendem Gestühl und einem für kleinere Aufführungen geeigneten Podium. Wir wollen ein offenes Haus sein, einen Sog entwickeln. Die Leute sollen hier reinkommen, und wenn sie nur Pipi machen.

Wie ist denn kurz- und langfristig Ihr Ausstellungskonzept?

Wissen Sie, jede Ausstellung, die wir machen, ist weniger wichtig als die Sammlung, die wir zu betreuen haben. Früher machten Museen zwei Ausstellungen im Jahr im Zusammenhang mit der Sammlung. Ich finde es wichtig, daß die Kustoden wieder Zeit für die Sammlung finden. Wenn man von 30.000 Blatt aus der grafischen Sammlung Serien oder Highlights vorstellen will, dann muß man sie nämlich kennen. Aber natürlich werden wir auch Ausstellungen machen.

Und welche werden das sein?

Wir zeigen jetzt nach der Eröffnung die große John-Heartfield- Ausstellung, weil ich meine, die gehört nach Hannover, wo Schwitters gearbeitet hat. Dann sind Ausstellungen zu Keith Sonnier, Max Ernst und Vincenzo Agnetti geplant. Im Herbst gibt es die eigentliche Eröffnungsausstellung, eine Ausstellung zur klassischen Moderne. Sie heißt „Zur Metamorphose der Bilder“. Wir ergänzen wichtige Bilder zu Serien, um die Wandlung eines bestimmten Sujets vorzustellen. Darunter sind zum Beispiel Picasso, Gris, Mondrian etc. Außerdem setzen wir die von meinem Vorgänger Büchner begründete Reihe zur südamerikanischen Kunst fort. Wir werden Costa Rica und Mexiko zeigen. Aber der Hauptakzent unserer Ausstellungstätigkeit wird immer im Zusammenhang mit unserer Sammlung stehen.

Die Sammlung als Richtschnur und Konstante Ihrer Ausstellungspolitik?

Ja, die Sammlung und die Präsentation dieser Sammlung und die internationale Kunst von 1900 bis morgen. Aber zuerst einmal die Sammlung mit all ihren Irrtümern und Lücken, wie sie uns durch Herrn Sprengel und Herrn Seiler übergeben wurde. Wobei wir natürlich ohne jeden enzyklopädischen Anspruch bestimmte Blöcke neu aufbauen: Beuys zum Beispiel, der war für Sprengel ja ein Reizwort, oder die Concept Art. Die Sammlung ist ein Privileg und eine Hypothek. Manchmal beneide ich Kollegen ohne Sammlung, die bei jeder Ausstellung immer ex nihilo ganz neu anfangen. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Denn im Grunde brauche ich diese Sammlung.

Irren ist selten

Ist das ein konservativer Zug an Ihnen?

Vielleicht. Aber es ist auch der Sammler in mir. Ich finde es toll, mir frühmorgens drei Picassos ansehen zu können — ganz allein. Wissen Sie, mein Vater hat schon moderne Kunst gesammelt. Bei uns zu Hause war es normal, daß wir weniger Fleisch aßen, wenn er zum Beispiel eine Mirò-Grafik gekauft hatte. Mit zwölf wußte ich, wer Max Ernst und Soulages waren. Mit sechzehn, daß ich einmal ein Museum für moderne Kunst leiten wollte. Es gibt ja so eine Art Imitatio der Eltern. Mit acht Jahren habe ich mein erstes Aquarell gekauft von Heinz Janszen für fünf Mark. Das war ein Spezialpreis, den ich fünf-Pfennig-weise abzahlen durfte. Und seitdem habe ich nicht aufgehört, moderne Kunst zu sammeln. Vor allem Papierarbeiten, die haben so eine schöne materiale Sinnlichkeit.

Irren Sie sich nie bei dem, was Sie sammeln?

Das kommt vor. Aber selten. Was ich haben will, hänge ich zu Hause auf, und wenn es sich da bewährt, ist es gut. Wenn es sich da nach drei Tagen immer noch in die häuslichen Angelegenheiten einmischt. Wenn es dialogfähig bleibt und nicht stumm wird.

Die Dialogfähigkeit als Signatur des gelungenen Kunstwerks?

Ja. Kunst ist immer dann gut, wenn sie Fragen stellt; schlechte Kunst stellt keine Fragen. Es gibt ein schönes Bild von Pascal, wenn er sagt, unser Wissen gleicht einem Kreis, und je größer der Radius, desto größer sind die Berührungspunkte mit dem Unbekannten. In diesem tangentialen Bereich werden Nobelpreise erdacht und geschrieben — und da wird auch gute Kunst gemacht.

Herr Ronte, Sie sind nicht nur Museumsmann, sondern auch Universitätslehrer. Was sollte das Studium dem Studenten der Kunstgeschichte von heute für die Praxis von morgen vermitteln?

Was die Studenten vor allem lernen, sind wissenschaftliche Methoden: wie man einen Rembrandt datiert, was einen Overbeck von einem Cornelius unterscheidet etc. Die zeitgenössische Kunst wird im Lehrangebot oft sträflich vernachlässigt. Was leider auch häufig fehlt, ist der sinnliche Umgang mit Kunst: Museums-, Galerien- und Atelierbesuche, Künstlergespräche. In Galerien kann ich wunderbar bestimmte Themen behandeln, zum Beispiel Preisfragen. Das geht im Museum nicht, die Bilder sind ja nicht kapitalistisch gehängt. Ich fange ja nicht mit den billigen an und höre mit den teuren auf.

Grammatik des Werts

Sie haben mit einem Ökonomen ein Buch geschrieben: „Die Wa(h)re Kunst“. Eine der Thesen dieses Buches besagt, daß Kunst ihre Nobilitierung und Legitimation oft genug erst durch den musealen Raum erfährt und dadurch auch ihren ökonomischen Wert. Werden wir als Rezipienten da nicht zu Opfern der Legitimierungswillkür einer Mafia von Kunstvertretern?

Diese Frage ist sehr zugespitzt formuliert. Sie wird so im Buch auch nicht gestellt und nicht beantwortet. Was wir versucht haben zu zeigen ist, daß jede Wertsphäre — und das Museum ist eine andere Wertsphäre als das Atelier oder die Straße — eine eigene Grammatik hat, die auch den ökonomischen Wert bestimmt. Da arbeitet keine Mafia, sondern da herrschen Übereinkommensstrukturen. Die Vertreter einer Wertsphäre kommen in der Regel alle unabhängig voneinander zu demselben Ergebnis. Das wird Ihnen jeder bestätigen, der einmal in einer Jury gesessen hat.

Hannover ist das vierte Museum, an dem Sie arbeiten. Was ist so attraktiv am Beruf des Museumsmanns?

Der ständige, hautnahe Umgang mit der Kunst. Ich glaube, daß es einer der schönsten Berufe überhaupt ist. Was mir während des Umbaus sehr schwer fiel, war, daß ich die Sammlung nicht sehen konnte. Ich hatte richtige Entzugserscheinungen. Ich brauche diese Bilder jeden Tag um mich. Das ist das eigentliche Glückserlebnis, nicht das Schreiben von Vorlagen an das Kulturamt.

Und dieses Glücksgefühl hoffen Sie auf Ihr Publikum zu übertragen?

Auch wenn es pathetisch klingt. Ja, das ist die Utopie, die ich habe.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen